Quedlinburg

26.9.2020

Kennt ihr diese Tage, an denen man schon beim Aufwachen merkt, dass man eigentlich lieber liegenbleiben sollte? Die Augen brennen, der Kopf tut weh und es ist viel zu früh am Tag. Ich stehe trotzdem auf, ich will heute ja weiterfahren und muss noch packen und mein Auto holen. Da es angefangen hat zu regnen, nehme ich ein Taxi zu meinem Auto, keine Lust, mit Kopfweh und müde jetzt dahin zu latschen und das Auto zum Hotel zu bugsieren, durch ein Gewirr von Einbahnstraßen und Fußgängerzonen. 

Ich fahre los und stelle fest, dass eine Tankstelle ganz gut zu brauchen wäre. Es gibt aber weit und breit keine. Als ich mein Navi befrage, schlägt es mir einen Ort 15 km weit entfernt vor. Hm, danke für den Tipp, gut, dass ich rechtzeitig gefragt habe. Es geht wieder durch ausgestorbene Dörfer, die im Regen noch trostloser wirken. Meine Stadtführerin in Weimar hat meinen Eindruck der Verlassenheit bestätigt, sie meinte, alle, die eine vernünftige Ausbildung haben, sind schon weg. Da ist was massiv schiefgelaufen.

Irgendwann überquere ich die Grenze nach Sachsen-Anhalt, es wird noch einsamer. Die Straße führt durch Wälder und Hügel und vor allem Alleen, sehr malerisch, Dörfer gibt es nur noch vereinzelt und die sind auch nicht lebendiger.

Bis ich nach Quedlinburg komme. Ich suche eine Weile, bis ich einen freien Parkplatz finde, überall stehen Autos, Busse und Touristen herum. Die Stadt ist voller Menschen, in den Cafés bekommt man keinen Platz.

Ich schlendere im strömenden Regen durch den Ort, UNESCO Weltkulturerbe, die einzige vollkommen erhaltene Fachwerk-Altstadt der Welt. Die Stadt ist über 1000 Jahre alt, die Häuser aus verschiedenen Epochen. So Quedlinburg weiterlesen

Erfurt

25.9.2020

Nach dem Marathon gestern steht mir heute der nächste bevor. Ich habe zwei Führungen durch Erfurt gebucht, eine durch die Altstadt, eine auf den Petersberg zur Zitadelle. In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich nicht bedacht, dass ich zu dem Zeitpunkt schon seit Tagen kilometerlange Wanderungen durch Städte und Sehenswürdigkeiten unternehmommen habe und meine Aufnahmekapazität langsam an ihre Grenzen kommt. Aber da muss man halt durch. Das ist auch einer der Gründe, warum ich ganz gern ab und zu allein verreise: Wer macht sowas schon mit? Vor allem: Wer macht sowas mit und isst dann einen Apfel zu Abend, weil er zu erledigt ist, noch in ein Restaurant zu gehen?

Ich fahre also mit der Regio Bahn nach Erfurt und laufe Richtung Touristen-Info. Dabei komme ich an einigen sehr schönen Häusern vorbei, wie sich später herausstellt, sind die meisten uralt. Erfurt war immer eine reiche Stadt und konnte sich in diversen Kriegen von Zerstörung freikaufen. Später verlor es an Bedeutung und musste nichts mehr bezahlen für den Frieden, weil es keinen mehr interessiert hat. Im letzten Krieg hatte es einfach Glück. Die Amis waren schon fast einmarschiert, deshalb wurde Erfurt nur minimal und punktuell zerbombt, weil die Alliierten befürchteten, ihre eigenen Leute zu treffen. Die Substanz ist also zum größten Teil erhalten.

Sehr beeindruckend ist natürlich der Domberg mit den zwei Kirchen, von denen keiner weiß, welche die ältere ist und warum da zwei katholische Kirchen stehen, direkt nebeneinander. Das ist im Lauf der letzten 1300 Jahre irgendwie verloren gegangen.

Sehr hübsch auch die Krämerbrücke mit den vielen netten Kunsthandwerk-Läden. Ursprünglich standen da Buden mit lokalen Kostbarkeiten, die den durchreisenden Händlern Geschenke für die Daheimgebliebenen verkauften, bevor ihnen die Zollbehörde die Maut für die Durchreise abknöpfte.

Am Petersberg steht die Zitadelle, allerdings wird drumherum die Stadt für die Bundesgartenschau 2021 nahezu komplett umgebaut, so dass man nicht viel anschauen kann. Der tolle Blick über Erfurt von oben ist verstellt durch Kräne, Absperrungen und Erdhäufen. Wir besichtigen also hauptsächlich die unterirdischen Horchgänge. Soldaten auf der Zitadelle konnten dort feststellen, ob der Feind versuchte, einen Tunnel zur Festung zu graben, indem sie in den Gängen saßen und horchten, ob Kratzgeräusche wahrnehmbar waren. Kein angenehmer Job, es ist dunkel und eng und feucht dort unten, die Temperatur liegt bei 12 Grad Celsius. Teilweise wurden die kilometerlangen Gänge als Luftschutzbunker im 2. Weltkrieg benutzt, bis die Decke des Schutzraumes aufgrund eines Bombeneinschlags undicht wurde. Dort bilden sich heute Stalagtiten.

Auch interessant ist die Indigo-Produktion der Stadt. Hier wächst eine Pflanze namens Waid, die Indigo enthält. Allerdings müssen die zerkleinerten Blätter vergoren werden, was sich mit Harnsäure erreichen lässt. Um genug davon zu bekommen, haben die männlichen Einwohner Erfurts in früheren Jahren sehr viel Bier getrunken, das dann auf natürlichem Wegen wieder ausgeschieden und auf den Pflanzen verteilt wurde. Das Bier hatte allerdings einen sehr geringen Alkoholanteil, sonst hätten die braven Bürger den Weg in die Waidspeicher nicht mehr gefunden. Nach dem Gärungsprozess konnten dann Stoffe mit dem Sud gefärbt werden. Das mag alles gestunken haben!

Das Wetter ist heute, wie versprochen, umgeschlagen. Es ist im Vergleich zu den nächsten Wochen eisig, ein kalter Ostwind weht den ganzen Tag. Nach den zwei Führungen und der Bahnfahrt zurück nach Weimar bin ich erschöpft und mir ist kalt. Da hilft am Besten Nudelsuppe. Zum Glück ist nahe bei meinem Hotel ein vietnamesisches Restaurant, in dem ich eine wunderbare Pho Bo bekomme.

Deutschlandreise

Nachdem ja heuer die Fernreisen ausfallen, das Fernweh aber nicht, behelfe ich mir damit, mich mal fern der Heimat im wilden Osten umzusehen.Da war ich noch nie. Nicht, dass ich im Westen schon großartig was gesehen hätte. Man kann halt nicht alles auf einmal haben und Deutschland ist groß. Also habe ich mir überlegt, Melanie in Hamburg zu besuchen. Das ist mir aber zu weit, um in einem Tag hinzufahren und über die Autobahn rauschen macht mir auch keinen Spaß, wenn es länger als drei, vier Stunden dauert. Aus dieser Idee wurde dann ein Plan. Nachdem die Wies’n ausfällt und ich dringend mal weg muss, wird der goldene Herbst heuer mal in Deutschland verbracht.

Erstes Ziel: Bamberg
In Bamberg war ich vor ca. 35 Jahren einmal für 2 Stunden, Erinnerung habe ich so gut wie keine mehr daran. Ich parke am Ortseingang und spaziere los, ohne viel Ahnung, wo ich eigentlich hinwill. Auf einem Hügel liegt der beeindruckende romanische Dom mit seinen vier Türmen, da will ich hin. Innen ist die Kirche im Laufe der letzten 1000 Jahre mehrmals umgestaltet und „bereinigt“ worden. Im 17.Jahrhundert war der Innenraum vollständig im barocken Stil gestaltet, wurde in späteren Jahren jedoch mehrfach vereinfacht im Sinne einer romantisierenden Mittelaltervorstellung, so dass heute ein eher kühler Raum entstanden ist, dessen einzige Reminiszenz an das Barock der Altarraum ist.

Ich spaziere weiter durch die Stadt und finde schließlich das umwerfende Rathaus an der Regnitzbrücke zwischen Alt- und Inselstadt. Drumherum sind, wie nicht anders zu erwarten, zahlreiche Cafés und Restaurants, die Fußgängerzone ist nicht weit. Alles in dem wunderhübschen, nahezu unversehrten Stadtkern, der zu Recht UNESCO Weltkulturerbe ist.

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Nach einem ausgiebigen Spaziergang fahre ich weiter nach Eisenach, das Städtchen am Fuße der Wartburg. Ich komme gegen Abend an, mein Hotel liegt perfekt inmitten der Innenstadt. Allerdings gibt es ein Problem. Das Hotel hat einen völlig überfüllten Miniparkplatz. Man schickt mich ein paar Straßen weiter „den Berg rauf“, leider ist die angeblich freie Straße genauso überfüllt. Also weiter bis zu einem Wohnviertel, wo ich nach einiger Kurverei dann doch noch ein Schlafplätzchen für mein Auto finde, aber nur bis 9.00 Uhr morgens. Ob das klappt? Ich bin schließlich im Urlaub und habe keinerlei Ambitionen, wegen eines potentiellen Strafzettels früh aufzustehen.

Ich schlendere durch das Städtchen, nett, viel renovierter Fachwerkbau und eine unfassbare Menge an Friseuren. Die Leute scheinen echte Probleme mit ihren Haaren zu haben, sonst könnten die nicht alle überleben. Die Friseurdichte übertrifft sogar die Kneipendichte, unglaublich, auf einem Spaziergang von ca. 10 Minuten zähle ich 12 Salons. Am Martin-Luther-Platz gibt es zwei hübsche Restaurants im Grünen, dort lasse ich mich nieder. Am Nebentisch kichern zwei Frauen und fluchen lautstark, als ich mich umdrehe, entschuldigen sie sich angelegentlich. Dabei wollte ich eigentlich nur sehen, was die essen, denn das sieht gut aus und ich finde es nicht auf der Karte. So kommen wir ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass eine der beiden Familien- und Erbrechtsanwältin ist, die andere Steuerberaterin. Das Thema ist gesetzt.

23.9.
Wer in Eisenach übernachtet, will natürlich die Wartburg sehen. Ich steuere sie am Morgen an (ohne Strafzettel) und freue mich, dass so wenig Leute da sind. Vom Parkplatz muss man noch ein Stückchen den Berg hinaufsteigen, dann ragt die historische Stätte mächtig vor einem auf. Etwas außer Puste komme ich an und genieße den Weitblick über den Thüringer Wald. Die Burg ist gewaltig.

Leider darf man nur außen fotografieren. Führungen gibt es zurzeit nicht, aber man darf sich einen Audio-Guide aufs Handy laden, wohl dem, der kabellose Kopfhörer dabei hat. Etwa eine Stunde wird man durch die Burg geleitet, erfährt vieles über Architektur, Geschichte und Geschichten über die Burg, die bereits um 1100 n.Chr. bestand. In den Jahren 1211-1227 lebte Elisabeth von Ungarn hier, die spätere heilige Elisabeth. Das arme Mädel wurde mit 4 Jahren dem Landgrafen Ludwig versprochen, mit 14 dann verheiratet. Nachdem sie 3 Kinder von ihm hatte, fiel er auf den Kreuzzügen und sie wurde von der Burg vertrieben, um sich nur noch der Wohltätigkeit zu widmen. Dafür wurde sie dann heilig gesprochen, reicht doch. Vor ihrer Zeit fand hier der  -wohl eher fiktionale- Sängerstreit statt, Goethe lebte hier, Luther versteckte sich hier nach seiner Reichsacht, 1817 riefen versammelte Studenten unter der ersten schwarz-rot-goldenen Flagge das Deutsche Reich aus und die Nazis versuchten, die Bedeutung der Burg für sich zu nutzen, allerdings erfolglos. Viel mehr Geschichte geht nicht.
Nach Weimar fahre ich über die Landstraße, eine eher öde Angelegenheit. Felder links und rechts der Straße, ab und zu ein Dorf. Die Dörfer sind alle menschenleer, jedenfalls sehe ich niemanden auf der Straße, obwohl es mitten in der Woche ist. Wo sind die alle? Da stehen doch Häuser und es gibt Schilder, die auf irgendwelche Läden und Werkstätten hinweisen, aber kein Mensch weit und breit. Wie wir Bayern sagen: Es dodelt gewaltig.(Für Nordlichter: Es wirkt sehr unlebendig).