Ausgangsbeschränkte Ostern, Teil 5

Karfreitag, 10.4.2020

Ich hätte ja nicht gedacht, dass meine Kinder so vernünftig sind. Nachdem ich ein bisschen in den Verwaltungsgerichtshofs-Urteilen geschmökert habe und herausgefunden habe, dass es sich bei dem österlichen Familienbrunch-Verbot nur um eine nicht vollstreckbare Empfehlung der Staatsregierung handelt, habe ich sie mal alle eingeladen. Keine wollte kommen. Alle drei haben sofort angefangen, auf mich einzureden, dass das nicht #stayathome – mäßig korrekt sei und sie wollen uns nicht gefährden und ich soll mir vorstellen, was los ist, wenn einer von uns einen anderen ansteckt. Ich meinte, es sei ja anscheinend nicht direkt verboten und musste sofort hinnehmen, dass man mich für einen renitenten Althippie hält. Meine Anwältin-Tochter haut sofort raus, es sei doch völlig egal, ob das Verhalten strafbar ist, wenn dann einer stirbt, wo ist der Unterschied? Meine Antwort „er stirbt unbescholten“ hat sie aber auch nicht überzeugt.

Also Karfreitag. Keine Gottesdienste, was mich jetzt nicht so kratzt, ich wäre eh nicht hingegangen, keine Tanzveranstaltungen, nun, die gibt’s an dem Tag sonst auch nicht, keine Fischrestaurants – schon eher schwierig. Radfahren geht. Ich radle schnell ins Büro und leere den Briefkasten aus, nichts Wichtiges, ok. Dann fahre ich zum Riemer See über ein paar Umwege.

Die Autobahn ist leer. Kein Ausflugsverkehr, kein Berufsverkehr, keine Laster, Motorräder. Mehr oder weniger Stille. Am See ein paar Radler und Spaziergänger, ein Witz bei dem Wetter, anscheinend haben es die Leute jetzt doch kapiert. Ein einsames Blesshuhn zieht seine Bahnen über den Karpfen, mehr ist nicht geboten.

Abends gibt Julia ein Online-Konzert, natürlich hängt die ganze Familie vor dem Computer. Sie spielt ihre Lieder, ein Cover und drei eigene. Nebenbei läuft ein Chat, die Leute sind begeistert.

11.4.

Ich radle zur Landlust, möchte schauen, ob die auch Semmeln haben zum Frühstück und vielleicht Osterfladen für morgen. Ungefähr 20 Leute stehen am Drive In an. Das sind zu viele. Ich radle weiter und kaufe beim Bäcker ein. Der ist neben dem Supermarkt, also nehme ich gleich alles mit, was ich noch brauche. Das tun viele andere Leute auch. Es ist ausgeschlossen, bei diesem Gedränge ausreichend Abstand zu halten. Ich schaue, dass ich wieder weg komme.

Nach dem Frühstück genieße ich die Sonne im Garten. Ich schneide ein bisschen trockene Blätter vom letzten Jahr zurück, dann lege ich mich in die Sonne und  lese.

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Später koche ich Tortellini mit Pesto. Um die wieder loszuwerden, klinke ich mich abends in das Notprogramm des Fitness-Studios ein und mache zwei Stunden Gymnastik.

Ostersonntag, 12.4.

Immer noch Sommerwetter. Wir haben uns mit den Kindern zum Video-Chat verabredet, allerdings war nicht ganz klar, ob Sonntag oder Montag. Nachdem nur Sonja von Montag ausgeht, beschließen wir, dann halt beide Tage zu chatten. Es dauert schon mal eine gute dreiviertel Stunde, bis wir uns auf ein Programm geeinigt haben. Das erste funktioniert nicht wegen Überlastung, das zweite zeigt nur schwarze Flächen an, erst beim dritten kriegen wir ein brauchbares Bild. Sehr gut, das war der Test für morgen.

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Zwischendurch hole ich das Mittagessen, gleiches Bild wie gestern: Massenhaft Leute stehen in gebührendem Abstand auf dem Parkplatz rum und warten auf ihr Essen. Die Küche kommt überhaupt nicht nach mit liefern. Leider ist dann die Suppe total versalzen. Das Lamm mit Thymianjus und die Mousse au Chocolat sind aber sehr lecker.

Als ich zurückkomme, ratschen die immer noch. Introvertiert ist hier keiner. Wir essen zusammen, dann gehen die Akkus langsam zur Neige….

Ostermontag, 13.4.

Der Chat mit der Restfamilie dauert heute 2 ½ Stunden. Insofern können wir uns nicht beschweren, dass sich die Kids keine Zeit für ihre alten Eltern nehmen. Mein Fitnessprogramm  heute besteht aus einer Stunde Workout, dann schaue ich mir „Unorthodox“ auf Netflix an. Geniale Miniserie, die authentische Geschichte einer jungen Frau, die im jüdisch-orthodoxen New York aufwächst und mit 19 Jahren beschließt, auszusteigen. Sehr gute Schauspieler, spannend aufbereitet und die Autorin der zugrunde liegenden Autobiographie hat sich auch sehr lobend geäußert. Lohnt sich auf jeden Fall!

 

Ausgangsbeschränkt, Teil 4

6.4.20 Montag

Meine Sekretärin ist im Urlaub und ich nicht. Das bedeutet, ich muss alles allein machen. Emails abrufen, ausdrucken, speichern, Post scannen, Akten raussuchen, Post dazu, telefonieren und dann: das Zeug bearbeiten. Man lernt enorm dazu. Ich renne dauernd zwischen den beiden Arbeitsplätzen hin und her, weil manche Sachen auf meinem PC nicht funktionieren. Das mit dem Scannen verstehe ich ja noch, wir haben nur einen Scanner und der steht im Sekretariat, aber wieso ich auf meinem Arbeitsplatz keine Emails den Akten zuordnen kann? Rätsel der Software, wahrscheinlich fehlt irgendwo ein Häkchen. Ich hab aber jetzt weder Zeit für Warteschleifen in der Hotline noch zum Selbersuchen. Also renne ich hin und her.

Abends Netflix, „Haus des Geldes“, 4. Staffel, die letzten vier Folgen (ja, ich weiß, 4!!). Man muss sich mal ablenken von dem Elend, da muss nicht alles so anspruchsvoll sein. In der SZ empfehlen sie, man sollte mal „Die Pest“ von Camus oder „Der Zauberberg“ von Thomas Mann lesen, thematisch hochaktuell. Na mir gehst.

7.4. Dienstag

Nettes Gespräch mit einer neuen (!) Mandantin, natürlich am Telefon. Ich löse ihr Problem, sie sagt mir, wie toll sie mich findet und dass ich sehr nett sei. Auch mal schön, wenn nicht von mir erwartet wird, der schärfste Hund auf dem Anwaltsmarkt zu sein.

Nachmittags hole ich mir das erste Eis der Saison in der Eisdiele nebenan, der Eismann freut sich und sagt: „prego, bellissima“, die Sonne strahlt, der Himmel dunkelblau. Der Tag gibt sein Bestes.  Bei Traumwetter radle ich eine Stunde durch den Wald und bei Sonnenuntergang über die Felder.

Abends scheint der Super-Vollmond, heute ist er näher als sonst, nur 365.000 km weit weg, nicht 400.000. Toller Blick aus meinem Schlafzimmer!

 

8.4. Mittwoch

Die Tage ähneln sich gewaltig. Ich schaue  beim Eismann vorbei, er erinnert sich „Waren Sie nicht gestern um die gleiche Zeit da?“ Nein, gestern war’s früher, dafür bin heute schon mit der Arbeit fertig.

9.4. Donnerstag

Morgen ist Karfreitag, ich möchte mittags alles fertig haben, denn ich muss ja noch einkaufen. Das klappt gut, nur die Post von heute ist noch nicht da, die hole ich dann morgen raus. Selbst und ständig.

Fee meldet sich, wir telefonieren gemütlich miteinander. Ich freue mich sehr, von ihr zu hören, wir sehen uns viel zu selten. Sie erzählt, dass sie schon 25 Jahre in Bayern ist und jetzt eigentlich eine Party machen wollte mit den alten Freundinnen, die sie von Anfang an begleitet haben. Tja. Telefonieren muss reichen. Bitter, aber wir holen das nach.

Eigentlich wollte sie wissen, wie das jetzt ist, wenn eine Firma die Miete nicht mehr bezahlt. Müssen die dann Verzugszinsen zahlen, wenn sie nachträglich leisten? Ich meine schon, aber sicher bin ich auch nicht. Wir prüfen das und etwas später stellen wir fest: ja. Sie müssen. Sie dürfen die Miete aussetzen, deshalb nicht gekündigt werden, aber da es kein Leistungsverweigerungsrecht ist, sondern nur ein Recht auf Stundung, fallen ganz normal Verzugszinsen an. Das ist für die Vermieter derzeit die beste Geldanlage, die sie haben können, die Zinsen liegen bei etwas über 4% im privaten Bereich, im gewerblichen noch deutlich höher. Andererseits ist es ja auch für private Vermieter kein Spaß. Viele Privatleute und kleine Selbstständige haben sich als Alterssicherung eine kleine Eigentumswohnung auf Kredit gekauft, die Raten sind durch die Miete finanziert. Wenn die jetzt wegfällt und der Vermieter auf Kurzarbeit oder arbeitslos ist, ist das für den auch ein Desaster, denn die Banken werden nicht lange warten mit der Zwangsversteigerung. Da helfen ihm die paar Zinsen dann auch nichts mehr. Es ist ein Elend, egal von welcher Perspektive aus man es sieht.

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Immernochausgangsbeschränkt, Teil 3

Wochenende, 4. und 5. April 2020

Bissl öd wird’s langsam schon. Am Samstag wache ich um 7 Uhr auf, völlig ungewöhnlich für mich an Wochenenden, aber ich gehe ja schon relativ früh ins Bett, weil abends einfach nichts los ist. Was macht man an einem Samstag um diese Uhrzeit? Der Tag liegt lang und ereignislos vor mir. Ich surfe ein bisschen auf Facebook rum, na ja, auch nicht gerade das, was mich begeistert , dann beschließe ich, aufzustehen und Sport zu treiben. Das hebt die Laune.

Das Wetter ist schön, also schwinge ich mich auf’s Radl und fahre zu Freunden, denen ich ein Stück Bananenbrot an die Tür hänge. Dann radle ich durch Ingelsberg in den Ebersberger Forst, zuerst zum Forsthaus Diana, dann zum Forsthaus Hubertus, leider beide zur Zeit nicht bewirtschaftet, dann über Anzing und Purfing wieder zurück. Das sind dann so 35 km, also knapp 2 Stunden, ich hab’s nicht gemessen und keinen Tacho am Rad. Muss ich mir mal zulegen. Die Sonne strahlt, der Frühling bricht mit Gewalt aus und wir sollen alle daheim bleiben. Das hältst ja nicht aus.

Die Nachrichten sind allerdings fürchterlich. New York steht kurz vor dem Kollaps, die Welt ist ausgestorben, überall lockdown, von Europa über Asien bis Australien und Neuseeland, auch die Amis kriegen jetzt langsam mit, was los ist, nachdem ihr schwachsinniger Präsident seit Monaten versucht, die Gefahr runterzuspielen. Die Sterberaten in einigen Ländern sind monströs, die Krematorien überfüllt, Leichen müssen in Kühlwagen zwischengelagert werden. Und immer noch gibt es Leute, die der Meinung sind, es sei alles nicht so schlimm, nur Panikmache der Regierungen (wohlgemerkt: aller Regierungen der Welt, außer vielleicht Nordkorea). Die glauben wahrscheinlich auch, dass das Virus durch Außerirdische eingeschleust wurde, damit die die Weltherrschaft übernehmen können. Und träumen von Einhörnern, wenn sie abends ihren Aluhut abgenommen haben.

Es ist surreal. Bilder im Fernsehen von ausgestorbenen Städten auf der ganzen Welt, indische Polizisten, die die Leute in ihre Häuser zurückprügeln, verzweifelte Ärzte, die aussortieren müssen, wer an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird und wer stirbt. Völlig erschöpfte Krankenschwestern mit roten Striemen im Gesicht von den Atemmasken und diese Idioten, die immer noch glauben, das sei normal.

Ich finde ja auch, dass einige Maßnahmen übertrieben sind und dass man durchaus diskutieren muss, welche Grundrechtseingriffe noch in Ordnung und verhältnismäßig sind und welche zu weit gehen. Natürlich muss auch diskutiert werden, wie die Wirtschaft gestützt bzw. gerettet werden kann. Natürlich muss es Programme geben, die verhindern, dass alles den Bach runtergeht. Allerdings glaube ich, dass diese Diskussion sinnvoll wahrscheinlich erst nach diesem Irrsinn geführt werden kann. Das Chaos im Moment einer derart fundamentalen Krise ist sicher kein guter Ratgeber für Grundsatzdiskussionen. Im Augenblick geht es um das Leben von sehr, sehr vielen Menschen und  die Menschheit reagiert nur auf die täglich sich ändernden Voraussetzungen und jede Regierung macht halt, was sie für sinnvoll und wirksam hält aufgrund dessen, was ihr diverse Experten sagen. Was anderes können die ja auch gar nicht tun, keiner war schon in so einer Situation, also woher sollen sie es besser wissen. Und da muss ich sagen, ich bin froh, dass ich in Deutschland lebe mit einer Wissenschaftlerin als Bundeskanzlerin, die kühles Abwägen zum Regierungsprinzip gemacht hat und nicht in Amiland mit so einem mäßig intelligenten Typen, der alles nur schlimmer macht, indem er die ganze Krise als Wahlkampfprogramm begreift. Und dass wir hier ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle haben. Und dass es – hard to say – Leute wie Markus Söder gibt, die nicht lang rumtun, sondern die nötigen Entscheidungen treffen, auch wenn sie sich  vielleicht hinterher als zu rigoros herausstellen sollten. Auch dem halte ich zu Gute, dass er nur das tut, was er für im Augenblick nötig hält und nicht den freiheitlichen Rechtsstaat als solchen in Frage stellt. Ich war nie ein Freund der CSU oder gar Söders, aber im Augenblick ist er derjenige, der die anderen vor sich her treibt und das ist gut so. 

Am Sonntag gebe ich mir ein Work Out auf YouTube, sehr zu empfehlen alles was Franziska Beckmann da so macht. Yogalates zum Beispiel. Da weißt du, was du getan hast nachher. Hart aber effektiv. Dann radle ich zur Landlust, www.zurlandlust.de, bei Regio-Drive-In dort habe ich Mittagessen bestellt. Dann Mittagessen. Dann in der Sonne liegen und lesen. Dann helle Vorhänge aufhängen für den Sommer und Osterdeko rausstellen. Wenn ich anfange, zu dekorieren, muss schon sehr wenig los sein. Nachdem ich die Wäsche dann zusammengefaltet und in die Schränke gepackt habe, auf der Terrasse sitzen und schreiben. Dann Netflix oder so. Seufz. Mir fehlen die Leute. Mir fehlen meine Kinder. Und nächste Woche ist Ostern und wir hocken immer noch allein da.

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Meanwhile in Baldham…