Feeling without Seeing

26.7.21 Arillas

„Feeling without Seeing“ war der Name einer Veranstaltung im Gayatri Mandir, dem Zentrum der hiesigen spirituellen Szene. Das Zentrum liegt ein bisschen außerhalb von Arillas, in einem Wald am Berg, aber gut zu Fuß zu erreichen. Am Eingang lassen alle ihre Schuhe liegen, dann führt ein Weg durch Gebetsfahnen und hübsche Blumenrabatten zu einer mit großen blauen Leinwandsegeln überdachten durch Planen abgedeckten Wiese, auf der viele Sitzkissen ausgebreitet sind und um die herum Stühle stehen.

Am Zugang zu der Wiese werden wir abgeholt und mit geschlossenen Augen zu  unserem Platz geführt. Die Dozentin ist blind und möchte uns einen Einblick in ihre Welt geben, indem sie uns zeigt, wie sehr man anderen vertrauen muss, wenn man nichts sieht. Das fängt damit an, dass sie herumgeht und jeden anspricht, der dann seinen Namen sagen soll. Danach fordert sie mich auf, das Gleiche zu tun, aber darauf zu warten, dass mich jemand begrüßt und dann dem Gehör nach zu der Person hinzugehen und Hallo zu sagen. Einer stellt sich mit ‚Sándor‘ vor. Ich gehe hin und sage ‚Jó napot kivánok, Sándor‘ und freue mich über den Überraschungseffekt, den das sicherlich auslöst, den ich aber ja nicht sehen kann.

In der zweiten Runde sollen wir dann alle, immer noch mit geschlossenen Augen,  in der Mitte zusammenkommen und die Hände ausstrecken und uns einen Partner erfühlen. Na klar, ich komm natürlich an den einzigen Ungarn weit und breit. Es folgen weitere lustige Übungen. Am Ende massieren wir uns gegenseitig. Da stelle ich fest, dass ich an einen Profi geraten bin, unverkennbar.

Nachdem die Stunde vorbei ist, erzählt mir Sándor, dass er  Yogalehrer und Ayurveda Masseur ist. Daher die Kenntnisse.

Ich schlendere die Strandpromenade entlang und suche mir eine dick gepolsterte Liege vor einer Bar aus. Diesmal zahle ich 4.- für die Liege, dafür bekomme ich auch noch eine Flasche Wasser und jederzeit Bringservice für Speisen und Getränke. Kommod. Allerdings liegt eine deutsche Familie neben mir, die lautstark ihre Streitigkeiten austrägt, vor allem auch die mit jemandem in der Heimat, der offensichtlich irgendwas nicht kapiert. Zwischendurch brüllt das Kleinkind, der Teenager ist genervt, der Vater, tätowiert von oben bis unten, versucht Ruhe zu bewahren, hat aber gegen Frau und Tochter keine Chance. Auf der anderen Seite unterhalten sich zwei Frauen lautstark über mehrere Liegen hinweg, ich denke, na das kann ja lustig werden hier. Irgendwann ist dann einigermaßen Ruhe, vor allem, nachdem die eine von den zwei Frauen der Familie den Rat gibt, sich nicht aufzuregen, sondern den Urlaub zu genießen. Nachdem sie selber lautstark von der deutschen Politik bis zum griechischen Abendessen alles kommentiert hat, was geht.

Deva und Miten Premal, Stars der spirituellen Szene, singen abends Mantras, live online aus Costa Rica und alle singen mit. Also, die den Sanskrit-Text können und die Melodie. Wobei es nach einer Weile nicht mehr so schwierig ist, Mantras leben ja von der Wiederholung, insofern lernt man das schnell.

Mit so vielen Leuten auf einem Platz war ich seit 2019 nicht mehr. Und alle singen. Ein bisschen komisch ist mir schon, aber ich denke, ich bin ja geimpft und es ist im Freien und ich sitze ganz hinten, wird schon nichts passieren.

 

Odyssee

25.7.21

Das Frühstück in einer Bar am Strand wird zum Test, wieviel Geduld ich aufbringen kann, wenn ich hungrig bin. Wie ich später erfahre, ist „Ina’s“ das In-Café, wo alle sich treffen, obwohl sie anscheinend total überfordert sind. Der Laden ist etwa halb voll, nur draußen, drinnen ist es leer. Ich bestelle einen Cappuccino und griechisches Joghurt mit Nüssen, man möchte meinen, keine Überforderung. Nach einer halben Stunde kommt der Cappu. An anderen Tischen essen die Leute Croissants, das geht anscheinend schneller als Joghurt mit Nüssen zu dekorieren. Da ich langsam nervös werde, bestelle ich eines, das auch nach ca. 10 Minuten tatsächlich kommt. Von Joghurt keine Spur. Nach weiteren 10 Minuten erbarmt sich die Küche und bringt ein Müsli mit Joghurt und Banane. Ich nehme es dankbar an. Ommm. Hier werde ich jedenfalls nicht mehr frühstücken.

Ich laufe am Strand entlang und versuche rauszukriegen, wie das System mit den Liegen hier geht. Anscheinend gehören die Strandsets (2 Liegen  mit Sonnenschirm) zu den Restaurants darüber. Ich gehe bis zum Ende der Straße, dort gibt es offenbar auch Liegen ohne Konsumierzwang. Für 10.- EUR miete ich eine mit Schirm und stelle nach einer Weile erfreut fest, dass man dort auch was bestellen kann, das dann gebracht wird.

Die Freude wird etwas getrübt, als mir Leute erzählen, dass eine Liege nur 4.- EUR kostet und mir der Preis für zwei plus Trinkgeld berechnet worden ist. Gut, das mache ich dann nächstes Mal anders.

Abends habe ich mich zu einem Event entschlossen, das im Akrotiri Café stattfindet. Zum Treffpunkt ist es eine nette kleine Wanderung den Berg hinauf, mit schönen Aussichten über Arillas.

Dort angekommen sitzen schon einige Frauen im Café, es kommen aber noch mehr. Elena wird uns auf einer Wanderung Geschichten aus der Odyssee erzählen und alte griechische Volkslieder auf der Lyra spielen, alles in der sanften Landschaft Korfus zwischen Olivenhainen und Wildblumen. Nachdem alle da sind, laufen wir los über den Bergkamm. Der Blick von oben über die Dörfer am Meer im Abendlicht ist wunderschön.

Wir setzen uns an besonders exponierten Stellen oder auch nur romantischen Bergwiesen im Kreis um Elena, Geschichten von Odysseus und Circe, dem Monster Polyphem und den Sirenen begleiten uns, die letztendlich im Sonnenuntergang am Strand von Agios Stefanos mit der Heimkehr Odysseus‘ enden.

Der stimmungsvolle Ausflug endet im Café Akrotiri. Wir bestellen Hummus und Weißwein und dann frage ich mich, wie ich ohne Taschenlampe (kein Handy!) jemals wieder da runter finden soll. Zum Glück erledigt sich das schnell, eine der Teilnehmerinnen hat ein Auto und nimmt mich mit nach Hause.

Ich komme drauf, dass das die meisten hier wohl Osho-Jüngerinnen sind. Alle haben seltsame indische Namen, kennen sich schon lange und reden über Dinge, von denen ich noch nie was gehört habe. Die meisten sind so in meinem Alter, waren also vermutlich bei den Poona-Fans, die in den frühen 80ern die Unis in Deutschland bevölkert haben mit ihrer orangenen Kleidung und den Holzketten. Die Frauenquote in Arillas schätze ich auf 80%. Mindestens. Bin gespannt auf alles, was ich hier Neues erfahre.

 

 

Arillas

24.7.2021

Korfu soll die schönste griechische Insel sein, sagt man, jedenfalls die grünste. Arillas, so hört man, ist ein kleines Dorf an der Westküste, vornehmlich besucht von Yogis und Osho-Jüngern, anscheinend gibt es eine große spirituelle Szene. Ideal für alleinreisende Frauen, weil viele Gleichgesinnte, relativ unberührt vom Massentourismus, viele Yoga- und Meditationsstunden, Meer, Strand…

Ich war da ja noch nie, also probiere ich es aus.

Der Urlaub fängt mit einem Desaster an. Nachdem mich Erich pünktlich abholt, schon da ist, als ich die Koffer nur schon mal rausstellen will, ich deshalb nicht mehr in die Küche zurück gehe, um aufzuräumen, stelle ich beim Check-In fest, dass ich mein Handy zuhause liegen lassen habe. Mit Impfbescheinigung, Anmeldung beim griechischen Staat, Daten von Flug und Hotel und Taxi und was  man sonst noch so braucht, Hörbücher, What’s App…. Es ist zu spät, um jemanden anzuflehen, das Handy zu bringen, Laca reagiert nicht auf meinen Anruf, hätte aber sowieso nichts genutzt. Was mach‘ ich jetzt bloß?

Zuerst beschimpfe ich mich. Dann erkläre ich mir, dass ich wahrscheinlich schon völlig verblödet bin und beschimpfe mich noch ein bisschen. Dann stelle ich fest, dass ich, wenn ich den Flug nicht verpassen will, ohne das Teil auskommen werden muss. Ich zeige meinen Impfpass vor, die anderen Sachen hab ich ja zum Glück alle entweder in den Emails oder ausgedruckt. Mit geöffnetem Laptop (in der anderen Hand den Rucksack und die Handtasche, den Koffer vor mir), manövriere ich mich durch die Kontrollen und schaffe es, mein Gepäck aufzugeben und ins Flugzeug zu gelangen.

In Kerkyra sollte ein Taxi am Flughafen stehen mit einem Schild mit meinem Namen drauf. Steht aber nicht. Ich warte, vielleicht kommt er ja noch. Tut er nicht. Ich warte noch ein bisschen. Dann wende ich mich an eine Frau an einem Stand, wo irgendwelche Reisen vermittelt werden, und frage, ob sie mir helfen kann. Mein Laptop verweigert das Flughafen-Wlan. Also leiht sie mir ihr Handy, das aber nur griechische Schrift kann. Ich muss aber irgendwie auf mein booking.com kommen, denn da steht, wie das Taxiunternehmen heißt. Nach einigem Hin und Her schaffen wir das. Hurra! Aber nur kurz. Denn niemand auf dem ganzen Flughafen kennt dieses Unternehmen. Ich schaue nochmal und nochmal, ob da inzwischen irgendwer ist, aber nein. Netterweise bietet mir die Frau von dem Unternehmen an, mich in ihrem Bus mitzunehmen, der nach Arillas fährt. Nachdem ich eineinhalb Stunden auf dem Flughafen vertrödelt habe, nehme ich das Angebot gern an.

Korfu ist schön und grün, das sehe ich bei der Anfahrt. Mein Appartement ist nett, Balkon, Meerblick, wenn auch das Bad winzig und die Küche miserabel ausgestattet und eher paläontologisch interessant ist. Aber insgesamt passt es schon, ich will ja keine Menüs fabrizieren, Wasserkocher, Müslischale, Teller und Basisbesteck sind da. Einen Swimming-Pool gibt es auch. Ich packe aus und laufe zum Strand, etwa 350 m. Das Meer ist blau und erfrischend, ich atme erst mal durch. Heute brauche ich keine Abenteuer mehr, ein Strandrestaurant bietet Schwertfisch mit Salat, wunderbar.

Später zieht mich Rockmusik in eine nette Bar, wo ich mir noch einen Drink gönne, ein bisschen was schreibe und genieße, mal wieder in einer Bar zu sitzen, Musik zu hören und Leute zu beobachten.

Das geht ohne Handy viel besser. Wenn man das Teil mal nicht hat, fällt einem erst auf, wie oft man es nur in die Hand nimmt, um beschäftigt zu sein oder zu wirken, wir haben völlig verlernt, einfach nur da zu sitzen und zu schauen und die Umgebung auf uns wirken zu lassen. Gefühlt alle 10 Sekunden habe ich den Impuls, zum Telefon zu greifen, ach so, nein, geht ja nicht. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, mal eine Zeitlang ohne das Teil auszukommen.