Die Anreise

6023 Jahre, 11 Monate, 8 Tage, 10 Stunden 15 Minuten nachdem Gott das Licht erfunden hat (wenn man den Kreationisten folgen möchte, die den Beginn der Schöpfung auf den 23.10.4004 vor Chr. datieren), setzen sich in den Außenbezirken der Landeshauptstadt München in Bayern in Deutschland, genauer gesagt in Vaterstetten, Ortsteil Baldham, vier Personen in einen dunkelblauen SUV, der zwar sicher extrem klimaschädlich, aber bequem und praktisch ist. Er spart mit seinem geräumigen Kofferraum immerhin einen zweiten PKW ein, der sonst hätte mitgenommen werden müssen, ist also eher als Kleinbus zu betrachten, was die Umweltschädlichkeit ein wenig relativiert. Aber darüber machen sich die vier wenig Gedanken, denn viel wichtiger ist zunächst, die Reisetaschen, Koffer, Geschenke, eine Kühltasche und eine Yogamatte unterzubringen. An Gott und seine Schöpfung denkt schon gar keiner der vier, sie lassen ihn in der Regel einen guten Mann sein, sofern sie überhaupt über seine Existenz nachdenken oder gar an diese glauben.

Ihr Ziel ist das Paradiesplagiat (kann man seine eigene Schöpfung plagiieren?), dessen ursprüngliche Entstehung sie nicht weiter interessiert, da sie es als gegeben nehmen. Der Sinn der Fahrt, die sie durch weitere Naturwunder wie die Oberbayerische Schotterebene (entstanden aus den Gletschern der letzten Eiszeit), die Alpen (auf denen die Gletscher ihrem Ende entgegenschmelzen), die Poebene (die nichts mit dem gleichnamigen Körperteil zu tun hat, dazu ist sie viel zu flach) und hauptsächlich über die darauf liegende Autobahn führen wird, ist eher hedonistischer als geologischer Art.

Nach einigem Hin- und Hergeräume des Gepäcks finden sie eine Möglichkeit, alles zu verstauen. Sogar die voluminösen Snack- bzw. Keks- und Schokopakete und der heiße Tee der beiden Mütter im Auto, die es sich dank jahrzehntelanger Müttertätigkeit nicht mehr vorstellen können, ohne Proviant zu reisen, auch nicht, wenn alle paar Kilometer in allen durchreisten Ländern hervorragende Möglichkeiten der Verköstigung vorhanden sind, finden ihren Platz auf den Rücksitzen.

Der Grund für die Reise ist, völlig unabhängig von der großartigen Schöpfungsidee Gottes, nach eineinhalb Jahren Distanzgebot wegen der neuesten, ebenfalls von Gott oder vielleicht auch den Chinesen heraufbeschworenen weltweiten Seuche, endlich wieder alte Freunde in schöner Umgebung zu treffen und den Geburtstag eines der Bewohner von Gottes Lieblingsgegend zu feiern. Und wie. Möglichst die ganze Woche.

So setzen sie sich also in Bewegung und steuern zunächst eine Tankstelle an, die der Besitzer des Fahrzeugs, der auch Mathematiker ist und daher rechnen können muss, was ihm immer wieder vor Augen geführt wird, vorausschauend als die günstigste gefunden hat. Sie liegt im schönen Inntal, bis dahin reicht der Kraftstoff noch. Um sie zu finden, müssen unsere Reisenden allerdings die Autobahn verlassen. Dabei lernen sie kurvenreiche Straßen, verlassene und in ihrer Langweiligkeit schon wieder interessante Dörfer und vor allem das Gewerbegebiet, in dem die Tankstelle liegen soll, kennen. Diese entpuppt sich als einsame Dieselsäule, weder ein Shop noch eine Toilette irgendwo zu sehen, nur Industriebrache rundum. Leider gibt es keine Fotos davon, vor Schreck hat keiner eines gemacht. Die Damen im Auto sind etwas enttäuscht, der zweite Mitfahrer wollte sich eine Wegzehrung kaufen und ist nun auf die Kekse der Damen angewiesen (worauf er dann lieber verzichtet), unser Fahrer freut sich aber sehr über den tatsächlich günstigen Preis.

Das alles verdirbt unserer Reisegruppe die Laune nicht, sondern mündet in fröhliches Geplänkel und Gekicher, zumal auf der weiteren Strecke Richtung Autobahn eine gar wunderhübsche russische Kirche am Wegesrand liegt, die alle schon vielfach von der Autobahn aus gesehen haben, aber noch nie aus der Nähe.

Kurz nach der Grenze zu Italien wird, wie es bei all unseren Reisenden seit vielen Jahrzehnten Tradition ist, Halt gemacht an der ersten Raststelle, um das Land mit Espresso bzw. dann dessen Rückgabe in die örtliche Kanalisation zu begrüßen.

Mit fröhlichen Spielen, ebenfalls Tradition seit vielen Jahren („Was schätzt du, welche Temperatur hat es am Po?“ Schätzung muss vor Bozen sein, wer am besten rät, hat gewonnen) gelangen die Vier gegen Abend nach Casole d’Elsa in Gottes eigenem Land. Andere sind ihnen zuvor gekommen

und haben einen Großteil der gebotenen Snacks, die unser höchst gastfreundliches Geburtstagskind vorbereitet hat, schon aufgegessen,

der Schampus aber fließt in Strömen und alle liegen sich in den Armen, glücklich, dass die Fahrt hinter ihnen und eine Woche voll Wein, Essen und Gesang vor ihnen liegt.

Natürlich fangen wir gleich damit an. Zum Abendessen führen uns Tibi und Ili ins „La Speranza“, ein rustikales Spezialitätenrestaurant mit riesigem Grill und beinahe noch größerem Grillgut, besonders Fiorentina ist angesagt, massive Steaks.

Nichts für Vegetarier, die dürfen sich an den Nudeln und/oder Beilagen delektieren, die ebenfalls ausgezeichnet sind. Der Wein funkelt in den Gläsern, auch später noch, im Innenhof unseres Agriturismo Le Beringhe, wo der erste Abend bei Grissini und Rotwein endet.