31.3.2020
Ein bißchen übertreiben sie’s dann doch. Man soll ja das Haus nur verlassen, wenn man zum Arzt, in die Arbeit, zum Einkaufen oder zum Sporttreiben will. Längeres Sitzen auf Parkbänken: verboten. Warum, verstehe ich nicht so ganz. Man kann doch mit seinem Ehepartner oder Kind ein bißchen in der Sonne sitzen, auch eine halbe Stunde oder so, und das Wetter genießen. Es kommt doch nicht auf die Zeit an, sondern auf Kontakte, dachte ich. Wieso soll man da nicht sitzen dürfen?
Vor meinem Bürofenster sitzt eine ältere Frau auf einer Parkbank, raucht eine Zigarette und trinkt einen Coffee to go. Im Erdgeschoß ist eine Bäckerei (also ein systemrelevanter Betrieb). Wäre mir erstmal nicht aufgefallen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der lebensgefährlichen Ansteckung, sie war allein. Weit und breit kein anderer Mensch zu sehen. Bis ein Polizeiauto vorfuhr. Zwei Sheriffs steigen aus, gehen auf sie zu und reden sie an. Sie gestikuliert und schimpft, offenbar wollen die Polizisten sie von der Parkbank weghaben, warum auch immer. Nach einiger Diskussion verziehen sie sich Richtung S-Bahnsteig. Die Frau setzt sich wieder und raucht weiter. Zwei Minuten später kommen die Polizisten wieder. Die Frau schaut kurz, wirft die Zigarette weg und entfernt sich mit ihrem Kaffee. Warum sie den jetzt da nicht mehr trinken durfte, ich verstehe es nicht. Das ist doch unverhältnismäßig und schießt über das Ziel hinaus. Bei allem Verständnis für die derzeit wohl notwendigen Kontaktverbote, aber sowas geht für mich zu weit. Sie wollte da doch nur sitzen, hat keinen gefährdet und nur ein bisschen die Sonne genossen!
1.4.
Die Situation fühlt sich immer noch total surreal an. Man denkt irgendwas, ach, ich könnte mir doch dies und das besorgen, hier oder da hinfahren, den oder jenen besuchen, eine Millisekunde später fällt einem ein, ach ne, geht ja nicht, ist ja alles zu. Von Klopapier ganz zu schweigen. Ein paar Konzerne haben angekündigt, ab sofort keine Miete mehr zu bezahlen, weil es neuerdings ein Gesetz gibt, dass während der Krise Mietzahlungen ausgesetzt werden dürfen, ohne dass Kündigung droht. Das war allerdings eher für kleine Läden gedacht, nicht für Großkonzerne. Zwei Stunden später wurden sie dermaßen überrollt von Boykottaufrufen, dass sie jetzt schon wieder zurückrudern. Na also, geht doch.
Ich telefoniere andauernd. Interessanterweise ändert sich gerade die Stimmung unter den Anwälten. Wir plaudern freundlich miteinander, wenn einer eine Fristverlängerung braucht, ist das derzeit überhaupt kein Problem, weil die Rechtspflege sowieso stillsteht und man wenig erledigt kriegt. Die Gerichte arbeiten nur bedingt, Verhandlungen finden nicht statt, bis Ende April ist alles abgesagt. Neue Mandate kommen kaum rein, dafür haben die bestehenden Mandanten offenbar Zeit, sich um ihre Fälle zu kümmern und beschäftigen uns jetzt um so mehr.
2. 4.
Super Wetter, ich radle ins Büro. Leichtsinnigerweise habe ich meiner Büroleiterin ab morgen bis nach Ostern Urlaub gegeben. Wir haben vor, heute alles abzuarbeiten, damit wir beide morgen frei haben und ich nächste Woche trotzdem nicht absaufe. Eigentlich wäre ich gern heute mittag schon fertig, das Wetter schreit nach Radltour. Netter Plan, leider nicht mit der Realität vereinbar. Mittagessen fällt aus, ein Sandwich tut’s auch.
Ein neuer Mandant will unbedingt mit mir reden, bevor ich einen Telefontermin mit ihm mache. Wieso? Er will checken, ob ich die Richtige für ihn bin. Es gäbe ja so viele Anwälte und was unterscheidet mich von all den anderen. Was spräche dafür, dass er ausgerechnet mich engagieren soll. Tja, da kann ich ihm auch nicht helfen. Ob wir uns sympathisch sind, können wir schwer telefonisch klären. Und ob ich besser für sein spezielles Problem bin als all die anderen, weiß ich auch nicht. Ich zucke virtuell die Schultern, die Entscheidung nehme ich ihm nicht ab. Anscheinend findet er es gut, dass ich nicht versuche, mich besonders toll darzustellen, sondern ihn relativ schnell verabschiede. Eine Stunde später macht er einen Termin aus.
Der ganze schöne Sonnentag: Dahin!
3.4.
Freitag. Das nehme ich jetzt mal wörtlich. Es klappt fast. Ich muss nur einer über 90jährigen sehr netten Mandantin ihre Unterlagen zurückbringen, ansonsten ist mein Schreibtisch leer. Die Tour mache ich mit dem Radl, man möchte ja an die Luft und der Weg zur Arbeit und Sport ist erlaubt, also kann man das ja gut verbinden. Die Dame freut sich über den Besuch, auch wenn ich nicht über die Schwelle gehe und natürlich Abstand wahre. Ein bisschen Plaudern ist sicher erlaubt. Dann radle ich zum Bauernmarkt und kaufe Obst und Gemüse für’s Wochenende. Diese Woche halten die Leute brav Abstand.
Ich werde langsam zur Küchenfee. Mittags gibt es gebratenen Saibling mit frischen gebratenen Zwiebelringen, dazu gemischten Blattsalat mit Karotten, Tomaten und Gurken. Abends backe ich ein australisches Bananenbrot für’s Wochenende. So kenn ich mich gar nicht.
Bevor ich meine hausfraulichen Fähigkeiten raushaue, gehe ich noch ein Stündchen radeln, diesmal über Möschenfeld durch den Wald nach Harthausen und zurück. Bei dem herrlichen Sonnenschein ein Genuss.
Nachmittags pflege ich meine soziale Beziehung zu meiner Schwester und sitze zwei Stunden mit dem Telefon in der Hand auf der Terrasse. Es könnte schlimmer sein.