Christo und ich

Vielleicht sollte man auch mal die Nachbarländer erwähnen und nicht nur die Fernreisen darstellen. Da wäre z.B. Italien, immer eine Reise wert.

Zuerst stand es in der Zeitung: Christo hat ein neues Projekt am Lago d’Iseo, ein Nachbarsee des Lago di Garda, der ja so ungefähr das Wohnzimmer der Münchner ist, wenn sie mal wieder Sonne sehen wollen. Was diesen Sommer eher öfter vorkommt, bei uns ist ja das Wetter heuer eher wechselhaft, wobei das ein eher unverschämter Euphemismus ist.

Jedenfalls hat Christo sich ausgedacht, mit seinen „Floating Piers“ den Leuten die Möglichkeit zu geben, auf Wasser zu gehen, wie Jesus, nur mit Unterlage. Das Ganze in reizvoller Landschaft zieht natürlich ein paar an. In Deutschland scheiterte das Projekt, wie nicht anders zu erwarten, daran, dass an den 150 000 Plastikteilen, die mit gold-orangenem Stoff bezogen im Wasser schwimmen sollten, kein Geländer angebracht werden sollte. Damit war es den Behörden zu gefährlich, man traut den Bürgern halt nicht zu, auf einem mehrere Meter breiten Weg, der sich von der Umgebung durch Material und Farbe (Wasser- blau : Stoff – orange) deutlich abhebt, die Mitte zu finden und nicht in’s Wasser zu fallen. Und wenn die Katastrophe dann passiert ist, sich schwimmend oben zu halten, bis die Rettung kommt.

In Italien schon. Na gut, könnte man denken, die haben ja soviel Meer, da muss ja jeder schwimmen können. Nun ja, in Deutschland hat die Vorsicht schon einige Projekte verhindert, nehme ich an, manchmal vielleicht auch zu Recht. Bei diesem war es vielleicht auch ganz gut, denn die Umgebung und der See sind allein schon eine Reise wert und sonst wäre ich da wahrscheinlich nie hingekommen.

Aufgefordert durch Zeitungen, Fernsehen, Radio und was sonst noch so an Medien rumläuft habe ich also beschlossen, mir das anzuschauen. Die Suche nach einer Begleitung war nicht schwierig, wozu hat man Verwandtschaft. Meine Schwester war dabei, der Süden lockte auch sie und so machten wir uns Ende Juni auf den Weg.

Übernachten wollten wir am Gardasee, damit wir am Freitag Abend nicht so lange fahren müssen, dann konnten wir am Samstag gemütlich ausschlafen und gegen Mittag zum Lago d’Iseo aufbrechen. Die erste Schwierigkeit war es, an diesem Wochenende ein Hotel zwischen den beiden Seen zu finden. Das ließ Böses ahnen. Iseo und umliegende Städte nebst Landhotels total ausgebucht, Lago di Garda bis auf ein paar Luxusherbergen ebenfalls. Nach einigen Recherchen auf diversen Portalen habe ich dann noch ein kleines Hotel in der Nähe von Bardolino gefunden, in Cavaion Veronese, etwa 80 km vor dem Event. Dort sind wir nach einigermaßen staufreier Fahrt am Freitag Abend eingelaufen.

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Am Samstag machen wir uns also auf den Weg zum großen Happening. Bereits auf der Autobahn schwant uns das Schlimmste: Große Schilder informieren uns, dass wir nicht damit rechnen können, zum See vorgelassen zu werden, wegen Überfüllung. Angekommen, sperren schneidige Carabinieri jeden Weg hinunter zum See ab, keiner darf hin. Nach vergeblichen Versuchen auf der gesamten Ostseite des Sees – einige entfernte Blicke auf die Attraktion inclusive – geben wir auf. Wir beschließen, nicht noch einmal durch alle Tunnels durch und mit tausenden anderen eine Lücke in der Totalüberwachung aller Zubringerstraßen zu suchen, sondern uns nach Westen vorzuarbeiten, weg von Christo, hin zum nächsten Badestrand.

Gesagt, getan. Kurz nach Iseo finden wir einen nahezu leeren Parkplatz mit angeschlossenem Strand sowie Strandrestaurant, alles, was wir uns zu diesem Zeitpunkt noch wünschen. Dort lassen wir uns gemütlich nieder, schwimmen eine Runde und stellen uns darauf ein, einen relaxten Tag am Strand zu verbringen.

Allerdings scheint die Stadt Iseo vom Wasser aus recht nah. Nach einer angemessenen Regenerationspause beschließen wir,  es zu Fuß zu versuchen. Dabei kommt uns sehr entgegen, dass wir schon vorab Online-Tickets für die Fähre zum Event gebucht haben, die erst nachmittags um 17.00 gelten.

Tatsächlich kommen wir zu unserer eigenen Überraschung nach einem etwa halbstündigen Fußmarsch, vorbei an den Carabinieri, in die Stadt. Dort haben wir noch Zeit für eine Pasta, Kaffee und Eis, dann gehen wir locker an der gefühlt kilometerlangen Schlange vorbei (ha! skip the row tickets!) und entern das Schiff, das uns zum Wunderwerk bringen soll.

Kurz vor der Ankunft fällt uns auf, dass die Piers nicht nach Iseo zurückführen, sondern den viel kürzeren Weg zwischen zwei Inseln nehmen, auf der anderen Seite nach Sulzano auf dem Festland, nicht nahe zu unserem Auto. Und wir keine Rückfahrtickets haben. Wir erkundigen uns umgehend, leider bekommen wir die Auskunft, dass für die nächsten drei Tage alles ausgebucht ist. Wer hätte damit rechnen können!

Das versaut uns die Stimmung aber nicht. Immerhin haben wir es entgegen aller Erwartungen geschafft, bis hierher zu kommen. Irgendwie werden wir schon wieder zu unserem Auto finden.

Angekommen auf der Monte Isola begrüßen uns ein paar Millionen Gleichgesinnte. Die Uferpromenade ist orange bezogen, was allerdings kaum auffällt, weil auf jedem Quadratzentimeter Menschen stehen oder versuchen zu gehen. Alle gut aufgelegt, wahrscheinlich freuen sie sich über die unkomplizierte Art, auf Tuchfühlung mit allen anderen zu gehen. Das Highlight ist dann natürlich, dass Christo himself auf einem Boot vorbeifährt und sich zujubeln lässt.

Nachdem wir uns durch die Massen gekämpft haben, betreten wir dann endlich das Allerheiligste. Wir fühlen uns wie Jesus, laufen mit tausenden anderen Jüngern über leicht schwankenden Untergrund in spektakulärer Landschaft im weichen Abendlicht. Etwa auf der Hälfte wird unser Pier gesperrt, so dass wir die Aussicht auf die völlig leere andere Hälfte genießen können.

Dann kehren wir um und kämpfen uns zur Insel zurück durch. Mangels Alternativen entscheiden wir uns, den einzigen mit dem Festland verbundenen Pier noch zu beschreiten und irgendwie zu versuchen, zum Auto zurückzukommen. Das gelingt dann auch mit einem erfreulicherweise eingerichteten Shuttlebus, so dass wir erfolgreich nach Bardolino zurückkehren und in vertrauten Gefilden den Abend genießen.

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Wie war’s also? Na ja, zu voll auf jeden Fall. Das Gehen auf dem Wasser war nett, etwa wie auf einer fest verankerten Luftmatratze. Nicht so außergewöhnlich, wie wir dachten. Happening mit halb Bayern, Italien und ein paar anderen. Ob man da hin musste, ich weiß nicht. Jedenfalls ist ein Wochenende in Italien immer eine Reise wert, schon wegen des Wetters, des Essens und der Abwechslung. Insofern: Alles gut, wir waren adabei und können jetzt mitreden.

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