Budapester Leben

5.4.22

Wir laufen die Andrássy ut, eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, hinaus bis zum Hösök tér, dem Heldenplatz, der aussieht wie der Königsplatz vor der Begrünung, nur viel größer. Links von uns das Botschaftsviertel mit vielen wunderschönen alten Villen, in denen heute Botschaften, Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen und gelegentlich das ein oder andere Hotel residieren. Rechts von uns die Stadt mit vielen Geschäften und Versicherungpalästen. In der Mitte: Autos.

Hinter dem Platz beginnt das Stadtwäldchen Városliget, in dem die Vajdahunyad Vára liegt. Das ist eine historisierte Burg, gebaut für die Milleniumsausstellung 1896, in der die gesamte Entwicklung der ungarischen Baustile dargestellt ist,
von der Romanik über die Gotik bis hin zur Renaissance. Das eklektische Bauwerk stellt in seinen romanischen und gotischen Bestandteilen einen Nachbau der Burg Hunedoara in Rumänien aus dem 15. Jh. dar, der Gebäudeteil im Renaissance- und Barockstil erinnert an die Wiener Burg. Im Garten denkt Anonymus vor sich hin.

Wir spazieren durch das Gelände und staunen über das neue, noch im Bau befindliche Völkerkundemuseum, das ziemlich spektakulär zu werden verspricht. Moderne Architektur, teilweise unter der Erde, wie eine Schale. Ich bin begeistert. Danach ist uns nach einer Pause und wir kehren ein im wunderhübschen frisch renovierten Café Gundel, wo wir uns die gleichnamigen köstlichen, kalorienreichen Palatschinken zu Gemüte führen, die als Mittagessen völlig ausreichen. So ein tolles Café an so einem schönen Ort, stilvoll renoviert, hervorragende Gastronomie und perfekte Kellner. Besonders eine Kellnerin tut sich hervor und erklärt uns die Renovierung, die den hochherrschaftlichen Charakter des Orts etwas abmildern sollte, so dass sich auch Besucher des Zoos nebenan hereintrauen. Sie freut sich so über unser Interesse (und unsere Sprachkenntnisse), dass sie gar nicht mehr gehen mag und nicht bemerkt, dass unsere Palatschinken langsam kalt werden, bis La´szló sie sanft wegkomplimentiert. Dazu spielt erst ein Pianist, dann eine Roma-Band mit Hackbrett und Geige sehr stilecht. Ein Hochgenuss, nur zu empfehlen.

Vorbei an Einkaufsmalls und Palästen laufen wir in die Stadt zurück und lassen uns in der 360° Bar nieder, einer Rooftop-Bar mit Blick über die gesamte Stadt.

Bei bestem Wetter genießen wir einen Cocktail (ich) und ein Bier (László), bevor wir kurz im Opernhaus vorbeischauen und dann hoch zufrieden mit dem Tag nach Hause spazieren.

Unsere Wohnung liegt genau gegenüber dem Szimpla Kert, einer Ruinenbar, die nach der Wende in einer aufgelassenen Ruine entstanden ist und die mittlerweile einige Berühmtheit erlangt hat.

Abends treffen wir alte Freunde, essen und trinken wie immer gut und genießen das städtische Ambiente.

6.4.

Das Frühstück kommt pünktlich und nicht weniger üppig als am Tag zuvor. Ich stelle klar, dass wir niemals soviel essen können und bitte, in Zukunft nur noch frisches Brot zu bringen, alles andere reicht noch tagelang. Ich bitte erfolglos, auch an den nächsten Tagen kommen Eier, Säfte, Marmeladen, Obst, Croissants, Kuchen….Es ist wie ein Büffet im Hotel, aber nur für uns zwei.

Wir haben Termine, die sich hinziehen, so dass wir uns erst am Nachmittag wieder dem Sightseeing widmen können. Da die Sonne strahlt, beschließen wir, es gemütlich angehen zu lassen und suchen ein nettes Café im Sonnenschein. Das ist gar nicht so einfach bei den engen Straßen und hohen Häusern, vor allem, wenn die Sonne jahreszeitbedingt noch nicht so hoch steht. Die großen Prachtalleen sind leider so laut, dass man da nicht sitzen mag. Zum Glück habe ich einen Einheimischen dabei, der zielgerade auf die sonnigste Terrasse der Stadt zusteuert, im Café Kioszk am Donauufer. Dort lassen wir uns eine Weile nieder, bevor wir zurückschlendern und uns umziehen für einen weiteren netten Abend.

Einheimischer

Wir treffen uns in einem koscheren Restaurant in der Nähe. Auf dem Heimweg haben wir einen Tisch reserviert, zur offensichtlichen Überraschung des Inhabers. Warum er überrascht war, merken wir, als wir ankommen. Das Restaurant befindet sich im Keller, der Erdgeschoß-Teil ist aus irgendeinem Grund geschlossen. Wir sind die einzigen Gojim, um uns herum nur orthodoxe Juden. Man fühlt sich wie in Jerusalem. Die Atmosphäre ist für uns Deutsche, die wir ja leider kein nennenswertes jüdisches Leben mehr haben in unseren Städten, sehr exotisch. Das Essen ist ganz in Ordnung, aber leider nichts Besonderes, es gibt wohl auch bessere koschere Lokale in Budapest, die aber leider geschlossen sind. Die Leute hier sind mit Sicherheit Stammgäste, viele ganz junge Leute dabei, mit Babys und Kleinkindern, aber auch ältere mit Airpods und Laptop. Alle sind völlig entspannt, keiner beachtet uns. So sollte es bei uns auch sein. Leider haben wir uns das versaut, dauerhaft, und es ist erschreckend, dass bei uns der Antisemitismus anscheinend wieder im Kommen ist. Hier merkt man davon nichts. Wir wohnen ja mitten im jüdischen Viertel, was  auf der Straße durchaus sichtbar ist durch die vielen Männer mit Kippa, Seitenlocken und Bart, was aber niemanden weiter stört. Wie man liest, scheint das in Deutschland, insbesondere Berlin, schon wieder ein Problem zu sein. Das finde ich eine Katastrophe, nicht nur angesichts unserer Geschichte. Dass die Menschen sich nicht einfach in Ruhe lassen können!

Budapest

3.4.2022

Östlich von Wien führt die Autobahn durch endlose Industriegebiete mit riesigen Windparks; wenn die energetische Zukunft Europas so aussieht, na dankeschön. Allerdings ist die Verschandelung der Landschaft wohl auch ohne die Windparks schon weit fortgeschritten, insofern geht’s ja noch. An der Grenze ändert sich nicht viel, nur die Hinweise auf  nahegelegene Nationalparks lassen hoffen, dass nicht alles so ausschaut.

Nach etwa drei Stunden Fahrt erreichen wir Budapest, die Schöne. Wir finden unseren Weg durch das Gewirr winziger Einbahnstraßen im jüdischen Viertel, wo wir eine spektakuläre Wohnung gemietet haben: 180 qm, zwei Schlafzimmer, 3 Bäder, Wohnzimmer, Küche, alles sehr großzügig dimensioniert und sehr modern eingerichtet. Der Hit ist die Dachterrasse mit Grill, im Sommer sicher fantastisch. Jetzt ist es allerdings etwas kühl, so dass draußen sitzen nicht in Frage kommt, dafür genießen wir die Aussicht auf die Türme der Hauptsynagoge vom Balkon auf der anderen Seite der Wohnung.

Wir verabreden uns mit einem befreundeten Paar in einem der stylischen Restaurants um die Ecke, da wir ja mitten im Ausgehviertel wohnen. Das Restaurant ist im Gozsdu udvar, einer Passage zwischen zwei Sträßchen, in der eine Kneipe an der anderen liegt, sehr stimmungsvoll. Wieder zurück in der Wohnung stellen wir fest, dass wir den Straßenlärm nur ganz leise hören, im Schlafzimmer höre ich gar nichts. Super.

4.4.

Um 9.00 Uhr bringt uns eine freundliche Frau das inkludierte Frühstück, von dem wir mindestens vier Personen mehrere Tage ernähren könnten. Wurst- und Käseplatte, Brot, Semmeln, Croissants, Tomaten, Radieschen, Paprika, Marmelade, Orangensaft, Obst, Milch, es bleiben keine Wünsche offen. László frühstückt normalerweise ein Glas Milch und eine Tasse Kaffee. Was  mache ich nur mit all dem Essen? Ich arbeite mich durch und scheitere natürlich. Man sieht nicht einmal, dass ich was gegessen habe, obwohl ich schon pappsatt bin. Wow.

Jetzt aber in die Stadt. Wir laufen als erstes zur Synagoge, die László vor vielen Jahren einmal besucht hat. Ich war vor fünf Jahren einmal drin, habe aber nichts gegen eine Auffrischung. Die Führung ist sehr schön. Man erklärt uns (auf deutsch, englisch, was man möchte), den Aufbau und die Entstehung des Baus im maurischen Stil, sodann gehen wir in den Garten und schauen uns einen Metallbaum mit vielen Blättern an. Es ist ein Gedenkmonument für die ungarischen Opfer des Holocaust, auf den Blättern sind viele Namen der Opfer eingraviert. Ein kleiner Friedhof erinnert an die Massaker in Budapest, ebenso Gedenknischen, in die nach jüdischem Brauch Steine eingelassen sind. Danach sehen wir uns noch das kleine Museum im Keller an, das eindrücklich die Geschichte der Besatzung Ungarns darstellt.

Danach schlendern wir durch die wirklich wunderschöne Stadt, in der ständig renoviert wird und die sich von Besuch zu Besuch verändert und immer besser wird. Wir trinken in einem der vielen Art-Deco Paläste einen Kaffee, schauen unterwegs diverse andere an und landen schließlich bei der Basilika, ein Prachtbau inmitten der Stadt.

Ein Brunnen in der Nähe gibt auf Handzeichen Zugänge frei und schließt sie wieder, wir nennen ihn „Moses-Brunnen“, wegen der Teilung der Wasser. Lustige Idee.

Moses Brunnen

Weiter geht’s bis zum Parlament, dem eindrucksvollsten Gebäude der Stadt, an der Donau gelegen und weltberühmt. Leider ist es schon zu spät für eine Führung, das muss dann bis zum nächsten Mal warten. Am Donauufer erinnern die Schuhe der ungarischen Juden, die von den Pfeilkreuzlern dort erschossen wurden, nachdem sie sich in Reihe aufstellen mussten. Ein erschütterndes Denkmal einer dunklen Vergangenheit, wie überall in Europa.

Abends treffen wir die Verwandtschaft in einem stimmungsvollen Restaurant in Buda, der grüneren und ruhigeren Hälfte der Millionenstadt. Leckeres Essen und lustige Gespräche beenden den Tag.

Kecskemét: Feiern und Völlern

Am Samstag heißt unser Ziel Kecskemét. Dort findet die Party von Géza statt, den ich seit etwa 30 Jahren nicht gesehen habe. Ich komme als Überraschungsgast mit.

Die Fahrt durch die völlig flache ungarische Landschaft ist unkompliziert, alles ist über die Autobahn erreichbar. Angekommen, denke ich, was für eine hässliche Stadt. Der Eindruck relativiert sich sofort, als wir in die Innenstadt kommen. Auch hier wunderschöne Barock- und Gründerzeit- Bauten, teilweise mit EU- und UNO-Geldern renoviert. Wir checken ein in unserem Hotel „Három Gunár“ und machen uns auf den Weg.

IMG_3180

Géza wohnt in einem alten, traditionell gebauten Bungalow mit Innenhof, sehr liebevoll hergerichtet, uneinsehbar, die ideale Location für ein Fest. Als er mich sieht, freut er sich überschwänglich und wird nicht müde zu betonen, dass er mich natürlich eingeladen hätte, hätte er nur daran gedacht. Aber das war ja klar.

Die Party beginnt im Garten und wird dann, zum obligatorischen Kesselgulasch, im ausgebauten Kellergewölbe weitergefeiert. Es ist ein typisch ungarisches Fest: Alle reden und singen und gestikulieren gleichzeitig, der Lauteste gewinnt. Und alle essen und trinken, soviel sie können.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Als alle heiser und satt und betrunken sind, treten wir den Heimweg an.

Unmittelbar nach dem morgendlichen Frühstück im Hotel treffen wir uns in den Markthallen zu einem ersten Lunch. Die Kneipe ist sehr urig, Touristen sieht man keine. Es gibt ungarisches Traditionsgebäck und deftige Speisen, habe ich schon gesagt, dass Ungarn die Garantie dafür bietet, ein paar Pfund zuzunehmen? Man kann einfach nicht anders als ununterbrochen zu essen und zu trinken, sonst sind entweder die Gastgeber beleidigt oder man selber wird als unlustiger Asket betrachtet. Ganz abgesehen davon, dass einem ja wirklich was entgeht. Die Küche ist fett, fleischlastig, schwer, aber lecker. Die Nachspeisen sind weltberühmt. Man kann nichts auslassen, völlig unmöglich.

IMG_3186

Danach führt uns Géza in der Innenstadt herum und zeigt uns die schönsten Ecken. Die Stadtführung endet in einer Eisdiele. So als Zwischenmahlzeit nach Frühstück und Pre-Lunch.

Es wäre nicht Ungarn, würde es nicht unmittelbar zum Mittagessen weitergehen. Wir treffen in einer netten Csárda ein, wo wir einen zweiten Lunch einnehmen. Die frisch gebackenen Champignonköpfe mit gebackenen Kartoffeln, Reis und Sauce Tartar stehen auf der Vorspeisenkarte, reichen aber – würde man alles essen, was auf dem Teller liegt – locker für 2-3 Mahlzeiten. Dazu werden Pogatschen gereicht, ein leckeres, aber schweres salziges Gebäck mit viel Schmalz, das allein schon satt macht. So kenne ich das von früher, so muss das hier sein.

IMG_3199

Nach dem Lunch beschließen wir, uns ein Kulturfestival in der Bugac-Puszta anzuschauen. Dort werden alte ungarische Fertigkeiten und Traditionen gefeiert, wie Pferdevorführungen, Csikós-Peitschen-Darstellungen, ein Jurtendorf, ein Mittelalter-Markt und – natürlich- eine lange Reihe Stände mit ungarischen Speisen. Wir sind so satt, dass wir uns zu nichts entschließen können, bis Leslie verschiedene Strudel vor uns hinstellt. Die müssen dann wohl doch sein.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Am Montag beschließe ich, Cica in Ruhe diverse Dinge erledigen zu lassen und nach all der Fahrerei ein wenig in Budapest herumzulaufen. Ich bin neugierig, wie sich die Stadt seit 2008 entwickelt hat und mache mich allein auf den Weg.

Der Vorortzug bringt mich von Pilisváros zum Nyugati Pályaudvar, dem Westbahnhof. Von dort laufe ich zur Donau und Richtung Parlament. Das umrunde ich und schlage mich dahinter in die Stadt, am Mahnmal für die in der Nazizeit ermordeten Ungarn vorbei bis zum jüdischen Viertel. Nach einigem Fußmarsch stehe ich vor der Hauptsynagoge und beschließe, sie von innen zu besichtigen.

Die Synagoge ist ganz etwas Besonderes, weil sie aufgebaut ist wie eine Kirche. Die Architekten wollten damit die Assimilation der ungarischen Juden in ihrer Heimat ausdrücken. Der Altar, der sich normalerweise in Synagogen in der Mitte befindet, liegt vorne, es gibt drei Schiffe und zwei Kanzeln und -weltweit einzigartig – eine Orgel, auf der auch Konzerte gegeben werden.

Im Garten befinden sich 24 Massengräber, in denen die Menschen bestattet sind, die nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur hier gefunden worden sind. Angehörige haben  Gedenktafeln angebracht, damit zumindest einem Teil der Opfer Namen zugeordnet werden können.

Im hinteren Teil steht der „Baum des Lebens“, ein Edelstahlkunstwerk, das anmutet wie eine Trauerweide. An den hängenden Zweigen sind Silberplättchen mit den Namen von 4000 Opfern angebracht. Steht man vor dem Baum, erkennt man, dass die Form auch als umgedrehter siebenarmiger Leuchter gesehen werden kann. Der Leuchter ist das Symbol von Chanukka, dem Lichterfest. Die Umkehrung soll symbolisieren, dass es für die Ermordeten kein Licht der Welt mehr gab.

IMG_3329

Den ausgiebigen Rundgang durch die Innenstadt beschließe ich im „Dunacorso“, einem Traditionsrestaurant am Ufer der Donau, mit Kaffee und Kuchen.

IMG_3345

Nach der Rückkehr zu Cica kehren wir noch in einer netten Csárda auf dem Land ein, wo wir uns an einem See bei Fogas und Fröcs (Fisch und Weißweinschorle) von den wunderbaren, lustigen, interessanten und anstrengenden Tagen erholen.