Corvatsch, St. Moritz

7.3.2020

Wir schälen uns aus den Betten und wagen einen Blick nach draußen: Nebelfelder hängen bis ins Tal, die Sonne versteckt sich. Trotzdem wollen wir nicht zu spät zum Frühstück kommen, wir möchten mitbekommen, was die anderen so planen. Da stellt sich wieder mal heraus, wie schön, dass das alles Leute sind, die inmitten der Hochalpen wohnen und eine Ahnung vom Wetter haben. Die weit überwiegende Meinung ist, dass es aufreißt. Also brechen wir auf, bepackt mit Skischuhen, Stöcken und Skiern, Richtung St. Moritz und hoffen, dass der Corvatsch bei unserer Ankunft frei ist.

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Als erstes fällt mir der exorbitante Preis für den Skipass auf: 91.- SFR. Du liebe Zeit, das ist ja unfassbar! Zum Glück haben wir Alpenvereins-Preise, die sich doch deutlich bemerkbar machen. Für den ganzen Trip mit vier Übernachtungen, Halbpension und Skipässen bezahlen wir 575.- EUR, keine Ahnung, wie der Klaus das hinbekommt. So lässt sich sogar die Schweiz bereisen, ohne dass man hinterher verarmt.

Die Gondel trägt uns zum Skigebiet, in eisige, windige Höhen. Aber der Nebel ist weg. Marietta und ich haben uns mit zwei Garmischer Bergführern zusammengetan, die sich hier auskennen und uns den Weg zum Gletscher weisen. Mit eingezogenen Köpfen gleiten wir an den offenen Graten vorbei, um so schnell wie möglich in geschützteres Gebiet zu gelangen, wo der Wind uns nicht so bitter die Nase erfriert.

Aber welch ein Skigebiet ist das! Lange, perfekt präparierte Pisten in grandioser Berglandschaft, weit verstreut über den ganzen Berg, mit mehreren Möglichkeiten, ins Tal zu kommen. Wir schaukeln zuerst zum höchsten Punkt, dann stürzen wir uns hinab zu einem Sessellift, der uns wieder in ein anderes Gebiet bringen soll.

Wir steigen in den 4-er Sessel ein, an sich kein Ding bei vier geübten Skifahrern. Als Jochen und ich schon fast sitzen, sehe ich, dass Klaus auf der rechten Seite irgendwie aus dem Sessel rutscht. Ich sage: „Was machst du denn?“, als Marietta ebenfalls aussteigt und runterfällt. In dem Moment sind wir schon etwa zwei Meter über dem Boden. Der Lift hält zum Glück sofort. Jochen springt runter, ich trau mich nicht, aber ein hilfsbereiter Liftmann hält mich fest und so geht’s. Keiner kann nachvollziehen, was da eigentlich passiert ist. Marietta hat sich das Knie verdreht, will aber trotzdem weiterfahren. Klaus ist unverletzt,  steht aber etwas neben sich. Na ja, das legt sich wieder. Wir machen ein paar Minuten Pause, dann packen wir’s wieder.

Mittags beschließen wir, jetzt mal ins Tal abzufahren, weil unterwegs eine urige Hütte sein soll. Die Talabfahrt ist ein Genuss, vor allem, weil um diese Uhrzeit keine Leute unterwegs sind. Das Risotto haben wir uns verdient, wir sitzen im strahlenden Sonnenschein, schlagen uns die Bäuche voll und freuen uns über den gelungenen Tag.

Am Nachmittag wollen die beiden Männer noch in der Bergstation Kaffee trinken, wir fahren lieber noch ein paar Mal die wunderbaren, schnellen Abfahrten. Am Ende gibt’s dann für uns doch noch einen Bombardino, an den kann man sich gewöhnen.

Tolle, aktive Tage, die allerdings ihren Preis haben. Am Abend sind wir die ersten, die ins Bett verschwinden. Die anderen lachen schon. Keine Ahnung, wie die das aushalten, nach dem Essen noch ewig sitzen zu bleiben. Wir werfen um zehn das Handtuch und lesen im Bett noch ein bisschen, zu mehr sind wir nicht in der Lage. Das war früher auch mal anders.

Livigno

6.3.20

Die Wetterlage reißt sich zusammen, wir sehen ein paar Wolken aus dem Hotelfenster. Es wird beschlossen, durch den Tunnel unter dem Berg nach Livigno zu fahren. An Corona und Ansteckungsgefahr denkt kein Mensch, das ist in unseren Köpfen noch so weit weg, alle freuen sich ohne Vorbehalte auf den Tag in Italien in einem der schönsten Skigebiete der Welt.

Die Fahrt führt durch den  Schweizerischen Nationalpark im Engadin, den einzigen der Schweiz. Die Kulisse ist beeindruckend, auch aus dem Bus heraus. An hohen, schneebedeckten Bergen vorbei schlängelt sich die Straße über Canyons, Wasserfälle, rauschende Bäche begleiten uns in der Tiefe. Unter dem Ofenpass führt ein mehrere Kilometer langer Tunnel nach Italien.

Spärlich beleuchtet. Notausgänge nicht erkennbar. Ich leide ja nicht an Klaustrophobie, aber dieser Tunnel ist sicher nicht neuester Stand der Technik. Einspurig, keine Ausweichmöglichkeit. Eine Ampel zeigt an, wann man durchfahren kann, also wann keiner entgegen kommt. Da kann  man nur hoffen, dass die funktioniert.

Auf der anderen Seite: Sonnenschein! Glitzernder Schnee! Der Lago di Livigno zugefroren und schneebedeckt! So soll Winter aussehen. Nach kurzer Zeit kommen wir in Livigno an und werden an der Talstation einer der vielen Seilbahnen und Lifte abgesetzt. Das Dorf ist schnuckelig, alte Holzhäuser, kleine Läden mit ortsüblichen Souvenirs und natürlich ein paar Espressobars. Wesentlich sympathischer als das mondäne St. Moritz gewinnt der Ort sofort mein Herz. Hier würde ich gern eine Woche verbringen, irgendwann einmal, im Sommer oder besser noch im Winter.

Das Skigebiet ist gigantisch. Auf beiden Seiten des Tals erstrecken sich Pisten ohne Ende, bis auf 3000 m Höhe. Über der Baumgrenze weite Hänge, großartiges Panorama, Lifte überall. Ich kann es kaum glauben, dass ich hier noch nie war, das ist ja eines der tollsten Skigebiete, die ich je gesehen habe!

Wir laufen zur Seilbahn und da holt es uns ein. Ein Schild an jeder Gondel: Nur drei Personen dürfen rein. Coronakrise auch hier. Was keiner von uns wusste bisher: Livigno liegt in der Lombardei. Am Eingang zum Lift eine Landkarte, die auf die große Entfernung zu den Hot Spots des Virus hinweist. Dennoch gelten auch hier die Anordnungen der Regierung, also, Abstand halten. Dafür staut sich alles an der Talstation. Naja, ob das jetzt besser ist, fragt sich, aber zu diesem Zeitpunkt ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Maßnahmen einfach noch nicht da und die meisten finden die Regeln nur nervig.

Wir halten uns dran und fahren in drei Abschnitten nach oben. Dort eröffnet sich die ganze Herrlichkeit einer weiten Berglandschaft mit kurzen, langen, flachen, steilen Abfahrten, Tiefschnee oder Piste, was das Herz begehrt. Dazu der Blick über den Alpenhauptkamm und die Südalpen, bis hinein ins sonnige Sehnsuchtsland Italien. Na ja, Sehnsuchtsland bis vor zwei Wochen, im Augenblick eher nicht so. Wir nutzen die Vielfalt und lassen die Ski mal so richtig laufen. Es sind wenig Leute unterwegs, es spricht nichts gegen Geschwindigkeit, also geht’s auch ab. Keine Snowboarder sitzen hinter jedem Hügel, keine Anfänger unterwegs, so muss es sein.

An der Mittelstation einer anderen Gondel ein Hinweisschild, dass empfohlen wird, mit dem Sessellift zu fahren wegen der Personenbeschränkungen. Auch recht.

Mittags suchen wir die passende Hütte, uns schwebt ein leckeres Nudelgericht vor. Irgendwie schaffen wir es jedoch nicht und landen in einer zugigen Bar, in der es nur Tramezzini und ähnliche Snacks gibt. Hier ist nichts mit Abstand, alle Plätze sind belegt. Erst nach dem Essen stellen wir fest, dass eine Treppe höher genau das Restaurant ist, das wir eigentlich gewollt hätten. Wir steigen hinauf und erhalten nach einiger Diskussion mit dem Chef die Erlaubnis, uns auf einen Cafè dort aufzuwärmen. Aus dem Espresso wird dann doch ein Bombardino, heißer Eierlikör mit Milch und Sahne, den wir die Kellner herumtragen gesehen haben. Beschwingt stürzen wir uns wieder auf die Piste und gondeln zurück zu der Talabfahrt, die uns wieder zum Ausgangspunkt bringt.

Die Lifte, die uns dorthin shuttlen, fahren wir mehrmals, bis die Sonne sich hinter die Wolken zurückzieht und die Sicht schlecht wird. Dann rauschen wir ins Tal, und, weil’s so schön war, gleich nochmal rauf und runter. Am Ende wartet eine der gemütlichen Bars auf uns mit Cappuccino und Kuchen, dann bringt der Bus uns wieder zurück in die damals noch nicht so verseuchte Schweiz.

St. Moritz im Nebel

5.3.20

Ein Blick aus dem Fenster bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: Es schneit bis ins Tal, der Nebel hängt über dem Tal, bis hinauf in die Höhen und am Fuß der Berge. Zudem tobt ein Sturm. Skifahren? Das ist genau das Wetter, bei dem mir nach 100 m schlecht wird, weil ich nichts sehe, außerdem friere ich, es ist nass, kalt und ekelhaft. Der Kauf eines Skipasses führt nur zur Berechtigung, die Hütte am Gipfel zu besuchen und dort einzukehren, Skifahren würde ich da sowieso nicht. Nachdem ich jahrelang mit meinen Kindern im Skiclub war und bei jedem Wetter raus musste, habe ich beschlossen, bei „Sauwetter“ kein Geld mehr für Skipässe auszugeben und daheim zu bleiben.

Wie schön, dass die anderen Teilnehmer der Reise das weitgehend auch so sehen. Nur ein paar Unentwegte wollen es trotz absehbar schlechter Sicht probieren, der Rest weicht auf andere Beschäftigungen aus. Marietta und ich beschließen, mit der Rhätischen Bahn nach Pontresina zu fahren und von dort nach St. Moritz zu wandern. In St. Moritz war ich bei ähnlichem Wetter schon einmal, als die Kinder klein waren und wir in Scuol Urlaub gemacht haben. Auch damals war Skifahren wettermäßig keine Option. Von wegen 300 Sonnentage im Jahr.

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Die Fahrt mit der Eisenbahn durch verschneite Landschaften ist nett, leider sieht man die Berge nicht wegen des Nebels. Nach etwa einer Stunde kommen wir in Pontresina an und laufen los. Verschneite Wälder verzaubern uns, ein gut ausgebauter Wanderweg führt uns vorbei am Stazer See, Langläufer nutzen die Loipen  am anderen Ufer.

Leider weht ein eisiger Wind, der uns erwischt, sobald wir den Wald verlassen. Das ist dann am einen Ende des St.Moritz-Sees der Fall, den wir noch umrunden müssen. Das Dorf sieht man erst, wenn man kurz davor ist.

Dort angekommen, laufen wir zu der Rolltreppe, die uns den Berg hinauf ins Zentrum führt. Luxus muss sein und aufsteigen muss hier keiner. Erschöpft von der langen Fahrt  hinauf fallen wir in ein Café und gönnen uns einen Blaubeerkuchen für 8.- €. Und einen Kaffee für weitere sieben. Das wäre dann der Preis für ein Mittagessen mit Getränken und Kaffee daheim. Ich hatte schon völlig vergessen, wie irre die Preise in der Schweiz sind. Dagegen ist München ein Schnäppchen. Aber was soll der Geiz, man lebt nur einmal.

Gestärkt wandern wir durch die Edel-Fußgängerzone, es gibt praktisch nur höchstpreisige Designerläden und Hotels. Kein Ort, in dem ich Urlaub machen würde.

Es gibt schönere Dörfer in den Alpen. Allerdings sieht man immer noch keine Berge, wer weiß, vielleicht ist ja die Kulisse fantastisch, wenn das Wetter gut ist. Wir schlendern einmal hin und zurück, dann laufen wir wieder zum Bahnhof und nehmen das Bähnchen zurück nach Zernez.