Livigno

6.3.20

Die Wetterlage reißt sich zusammen, wir sehen ein paar Wolken aus dem Hotelfenster. Es wird beschlossen, durch den Tunnel unter dem Berg nach Livigno zu fahren. An Corona und Ansteckungsgefahr denkt kein Mensch, das ist in unseren Köpfen noch so weit weg, alle freuen sich ohne Vorbehalte auf den Tag in Italien in einem der schönsten Skigebiete der Welt.

Die Fahrt führt durch den  Schweizerischen Nationalpark im Engadin, den einzigen der Schweiz. Die Kulisse ist beeindruckend, auch aus dem Bus heraus. An hohen, schneebedeckten Bergen vorbei schlängelt sich die Straße über Canyons, Wasserfälle, rauschende Bäche begleiten uns in der Tiefe. Unter dem Ofenpass führt ein mehrere Kilometer langer Tunnel nach Italien.

Spärlich beleuchtet. Notausgänge nicht erkennbar. Ich leide ja nicht an Klaustrophobie, aber dieser Tunnel ist sicher nicht neuester Stand der Technik. Einspurig, keine Ausweichmöglichkeit. Eine Ampel zeigt an, wann man durchfahren kann, also wann keiner entgegen kommt. Da kann  man nur hoffen, dass die funktioniert.

Auf der anderen Seite: Sonnenschein! Glitzernder Schnee! Der Lago di Livigno zugefroren und schneebedeckt! So soll Winter aussehen. Nach kurzer Zeit kommen wir in Livigno an und werden an der Talstation einer der vielen Seilbahnen und Lifte abgesetzt. Das Dorf ist schnuckelig, alte Holzhäuser, kleine Läden mit ortsüblichen Souvenirs und natürlich ein paar Espressobars. Wesentlich sympathischer als das mondäne St. Moritz gewinnt der Ort sofort mein Herz. Hier würde ich gern eine Woche verbringen, irgendwann einmal, im Sommer oder besser noch im Winter.

Das Skigebiet ist gigantisch. Auf beiden Seiten des Tals erstrecken sich Pisten ohne Ende, bis auf 3000 m Höhe. Über der Baumgrenze weite Hänge, großartiges Panorama, Lifte überall. Ich kann es kaum glauben, dass ich hier noch nie war, das ist ja eines der tollsten Skigebiete, die ich je gesehen habe!

Wir laufen zur Seilbahn und da holt es uns ein. Ein Schild an jeder Gondel: Nur drei Personen dürfen rein. Coronakrise auch hier. Was keiner von uns wusste bisher: Livigno liegt in der Lombardei. Am Eingang zum Lift eine Landkarte, die auf die große Entfernung zu den Hot Spots des Virus hinweist. Dennoch gelten auch hier die Anordnungen der Regierung, also, Abstand halten. Dafür staut sich alles an der Talstation. Naja, ob das jetzt besser ist, fragt sich, aber zu diesem Zeitpunkt ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Maßnahmen einfach noch nicht da und die meisten finden die Regeln nur nervig.

Wir halten uns dran und fahren in drei Abschnitten nach oben. Dort eröffnet sich die ganze Herrlichkeit einer weiten Berglandschaft mit kurzen, langen, flachen, steilen Abfahrten, Tiefschnee oder Piste, was das Herz begehrt. Dazu der Blick über den Alpenhauptkamm und die Südalpen, bis hinein ins sonnige Sehnsuchtsland Italien. Na ja, Sehnsuchtsland bis vor zwei Wochen, im Augenblick eher nicht so. Wir nutzen die Vielfalt und lassen die Ski mal so richtig laufen. Es sind wenig Leute unterwegs, es spricht nichts gegen Geschwindigkeit, also geht’s auch ab. Keine Snowboarder sitzen hinter jedem Hügel, keine Anfänger unterwegs, so muss es sein.

An der Mittelstation einer anderen Gondel ein Hinweisschild, dass empfohlen wird, mit dem Sessellift zu fahren wegen der Personenbeschränkungen. Auch recht.

Mittags suchen wir die passende Hütte, uns schwebt ein leckeres Nudelgericht vor. Irgendwie schaffen wir es jedoch nicht und landen in einer zugigen Bar, in der es nur Tramezzini und ähnliche Snacks gibt. Hier ist nichts mit Abstand, alle Plätze sind belegt. Erst nach dem Essen stellen wir fest, dass eine Treppe höher genau das Restaurant ist, das wir eigentlich gewollt hätten. Wir steigen hinauf und erhalten nach einiger Diskussion mit dem Chef die Erlaubnis, uns auf einen Cafè dort aufzuwärmen. Aus dem Espresso wird dann doch ein Bombardino, heißer Eierlikör mit Milch und Sahne, den wir die Kellner herumtragen gesehen haben. Beschwingt stürzen wir uns wieder auf die Piste und gondeln zurück zu der Talabfahrt, die uns wieder zum Ausgangspunkt bringt.

Die Lifte, die uns dorthin shuttlen, fahren wir mehrmals, bis die Sonne sich hinter die Wolken zurückzieht und die Sicht schlecht wird. Dann rauschen wir ins Tal, und, weil’s so schön war, gleich nochmal rauf und runter. Am Ende wartet eine der gemütlichen Bars auf uns mit Cappuccino und Kuchen, dann bringt der Bus uns wieder zurück in die damals noch nicht so verseuchte Schweiz.

Skifoan

Es mutet an wie ein Bericht aus einer anderen Zeit und ist doch erst eine gute Woche her. Seitdem hat sich alles in unserem Alltag geändert, die Leichtigkeit unseres Lebens ist erst einmal dahin. Ich sitze daheim auf dem Sofa, weiß nicht, ob ich für andere eine Gefahr darstelle oder eher sie für mich und kann kaum fassen, was um mich herum geschieht. In China ist der berühmte Sack Reis umgefallen, diesmal in Gestalt eines Flughundes oder einer Fledermaus, was weiß ich, egal, und ganz Europa und ein Großteil der restlichen Welt steht unter Quarantäne, die einen mehr, die anderen weniger. Wir in Bayern seit heute eher mehr, wobei sich fragt, ob die Maßnahmen ausreichen, die Seuche zu verlangsamen oder ob das immer noch zu wenig ist. Wie lange das alles dauert, kann im Moment niemand sagen, die Politiker bemühen sich, entschlossen und verlässlich zu wirken und Panik zu verhindern. Die Supermärkte sind in einem Maße leergekauft, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte, praktisch alles, was haltbar ist, ist aus, bis hin zu Zahnpasta, Flüssigseife, Linsen und Kichererbsen, ganz zu schweigen von Desinfektionsmitteln aller Art und Toilettenpapier. Im Fernsehen versuchen sie den Leuten klarzumachen, dass Hamsterkäufe nicht notwendig sind, aber keiner glaubt’s. Die Cafés und Restaurants sind mittlerweile auch leer, trotz des traumhaften Frühlingswetters, aber hilft ja nichts. Wir sollen und müssen alle sozialen Kontakte vermeiden, soweit möglich. Vielleicht kann ich meine geschätzten Leser ein bisschen damit unterhalten, dass ich von meinem gefühlte Äonen entfernten, supertollen Skiurlaub berichte. Gut gegen Langeweile, aber – Warnung! – macht auch neidisch.

Mittwoch, 4.3.2020

Gestern schon bin ich abends nach Garmisch gefahren, wo meine älteste Freundin lebt, die uns zu einem Skiurlaub mit dem Alpenverein Garmisch angemeldet hat. Der Bus fährt um 7.30 Uhr am Bahnhof ab, da war es praktischer, gleich bei ihr zu übernachten. Ganz gegen meine Gewohnheit dort habe ich hervorragend geschlafen, das liegt vermutlich daran, dass die Kirchenglocken derzeit in der Nacht abgeschaltet worden sind, was zu erheblichen Unstimmigkeiten in der Garmischer Bevölkerung geführt hat. Was aus Münchner Sicht allenfalls zur Belustigung beiträgt, führt in meiner Geburtsstadt zu schweren ideologischen Auseinandersetzungen. Ein Zuag’roaster hat einen Antrag gestellt, die nächtliche Lärmbelästigung durch viertelstündliches Stundenschlagen abzuschaffen und der Gemeinderat hat zugestimmt. Das verschafft mir nun ruhigen Schlaf, nicht so den Traditionalisten unter den Garmischern, die ihre Souveränität bedroht sehen und Sturm laufen gegen soviel Beeinflussung aus dem hohen Norden.

Wie auch immer, um halb acht packen wir unsere Ski in den Bus und fahren ab Richtung Engadin. Zu meiner Überraschung steigen mein Cousin und seine Frau ein, die ich schon ewig nicht gesehen habe. Familientreffen! Der Busfahrer informiert uns, dass er nicht vorhat, unterwegs zu halten, was bei den Frauen zu etwas Nervosität führt ob der mangelnden Gelegenheit, sich unterwegs zu erleichtern. Die Folge ist kollektiver Kaffee- und Teeverzicht im Bus. Der erste Stopp in Nauders am Reschenpass führt dann allerdings zu fröhlichen Gesichtern, denn das Wetter ist kalt, aber schön, der Schnee glitzert uns entgegen und es scheinen auch nicht sehr viele Leute unterwegs zu sein. Ich habe von diesem Skigebiet noch nie was gehört und bin begeistert. Schon aus der Gondel sieht man lange steile Pisten, die in der Sonne funkeln, wenig Leute und viele Bahnen. Sehr schön. Wir gehen dann erst mal frühstücken, denn so ganz ohne Heißgetränk mögen wir uns nicht in die Kälte wagen. Aber dann!

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Bis nachmittags haben wir alle Lifte durch, mit einer kurzen Mittagspause. Die verbringen wir in der Sonne und unterschätzen dabei die Kälte. Nach Skiwasser und Frittatensuppe frieren wir im Lift erbärmlich, so dass die nächste Jausenstation angefahren werden muss zum Aufwärmen. Aber Österreich lässt uns nicht im Stich. Länger als ein paar Minuten muss man zum Glück nie fahren, um in die Wärme und zum Topfenstrudel zu kommen.

Die Talabfahrt zum Schluss ist ein Genuss, danach kann’s weiter gehen zum Hotel in Zernez im Engadin. Wir beziehen unser Zimmer, relaxen ein bisschen, dann wartet schon das Abendessen auf uns. Wir lernen ein paar von den Mitreisenden kennen, alles sportliche Rentner. Der Ausflug findet in dieser Form jedes Jahr statt, seit sage und schreibe 60 Jahren! Ich glaub‘, manche sind von Anfang an dabei, aber natürlich nicht alle. Jedenfalls geht es ziemlich entspannt zu, man kennt sich.