25.9.2020
Nach dem Marathon gestern steht mir heute der nächste bevor. Ich habe zwei Führungen durch Erfurt gebucht, eine durch die Altstadt, eine auf den Petersberg zur Zitadelle. In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich nicht bedacht, dass ich zu dem Zeitpunkt schon seit Tagen kilometerlange Wanderungen durch Städte und Sehenswürdigkeiten unternehmommen habe und meine Aufnahmekapazität langsam an ihre Grenzen kommt. Aber da muss man halt durch. Das ist auch einer der Gründe, warum ich ganz gern ab und zu allein verreise: Wer macht sowas schon mit? Vor allem: Wer macht sowas mit und isst dann einen Apfel zu Abend, weil er zu erledigt ist, noch in ein Restaurant zu gehen?
Ich fahre also mit der Regio Bahn nach Erfurt und laufe Richtung Touristen-Info. Dabei komme ich an einigen sehr schönen Häusern vorbei, wie sich später herausstellt, sind die meisten uralt. Erfurt war immer eine reiche Stadt und konnte sich in diversen Kriegen von Zerstörung freikaufen. Später verlor es an Bedeutung und musste nichts mehr bezahlen für den Frieden, weil es keinen mehr interessiert hat. Im letzten Krieg hatte es einfach Glück. Die Amis waren schon fast einmarschiert, deshalb wurde Erfurt nur minimal und punktuell zerbombt, weil die Alliierten befürchteten, ihre eigenen Leute zu treffen. Die Substanz ist also zum größten Teil erhalten.
Sehr beeindruckend ist natürlich der Domberg mit den zwei Kirchen, von denen keiner weiß, welche die ältere ist und warum da zwei katholische Kirchen stehen, direkt nebeneinander. Das ist im Lauf der letzten 1300 Jahre irgendwie verloren gegangen.
Sehr hübsch auch die Krämerbrücke mit den vielen netten Kunsthandwerk-Läden. Ursprünglich standen da Buden mit lokalen Kostbarkeiten, die den durchreisenden Händlern Geschenke für die Daheimgebliebenen verkauften, bevor ihnen die Zollbehörde die Maut für die Durchreise abknöpfte.
Am Petersberg steht die Zitadelle, allerdings wird drumherum die Stadt für die Bundesgartenschau 2021 nahezu komplett umgebaut, so dass man nicht viel anschauen kann. Der tolle Blick über Erfurt von oben ist verstellt durch Kräne, Absperrungen und Erdhäufen. Wir besichtigen also hauptsächlich die unterirdischen Horchgänge. Soldaten auf der Zitadelle konnten dort feststellen, ob der Feind versuchte, einen Tunnel zur Festung zu graben, indem sie in den Gängen saßen und horchten, ob Kratzgeräusche wahrnehmbar waren. Kein angenehmer Job, es ist dunkel und eng und feucht dort unten, die Temperatur liegt bei 12 Grad Celsius. Teilweise wurden die kilometerlangen Gänge als Luftschutzbunker im 2. Weltkrieg benutzt, bis die Decke des Schutzraumes aufgrund eines Bombeneinschlags undicht wurde. Dort bilden sich heute Stalagtiten.
Auch interessant ist die Indigo-Produktion der Stadt. Hier wächst eine Pflanze namens Waid, die Indigo enthält. Allerdings müssen die zerkleinerten Blätter vergoren werden, was sich mit Harnsäure erreichen lässt. Um genug davon zu bekommen, haben die männlichen Einwohner Erfurts in früheren Jahren sehr viel Bier getrunken, das dann auf natürlichem Wegen wieder ausgeschieden und auf den Pflanzen verteilt wurde. Das Bier hatte allerdings einen sehr geringen Alkoholanteil, sonst hätten die braven Bürger den Weg in die Waidspeicher nicht mehr gefunden. Nach dem Gärungsprozess konnten dann Stoffe mit dem Sud gefärbt werden. Das mag alles gestunken haben!
Das Wetter ist heute, wie versprochen, umgeschlagen. Es ist im Vergleich zu den nächsten Wochen eisig, ein kalter Ostwind weht den ganzen Tag. Nach den zwei Führungen und der Bahnfahrt zurück nach Weimar bin ich erschöpft und mir ist kalt. Da hilft am Besten Nudelsuppe. Zum Glück ist nahe bei meinem Hotel ein vietnamesisches Restaurant, in dem ich eine wunderbare Pho Bo bekomme.