Pitigliano oder schon wieder eine Sensation

Unser Ziel heute ist Pitigliano, ein Städtchen in der Nähe des Lago Bolsena, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Es liegt auf einem ca. 300 m hohen Felsmassiv aus Tuffstein, das hier übliche Baumaterial, und ist von Canyons umgeben. Schon die Anfahrt ist spektakulär. Durch malerische Sträßchen und Dörfer, dann über die Berge

fahren wir auf die natürlichen Canyons zu, die die Stadt umgeben. Am Straßenrand finden sich zahlreiche Höhlen, wir rätseln, was hinter den Toren versteckt sein mag, die sie verschließen. Es sind wohl die Eingänge zu den etruskischen Wegsystemen, den „Vie Cave“, die vormals in den Tuff gegraben wurden. Einige Tore sind offen und enthüllen wenig spektakulär Autowerkstätten und Materiallager. Dann öffnet sich der Blick auf die Stadt, die gewaltig auf den hohen Felsen liegt.

Der Ort ist fast 1000 Jahre alt und wurde im Jahr 1061 erstmals erwähnt. Seither hat er öfter die Herrscher gewechselt und gehört seit dem 19. Jahrhundert zu Italien. Wir sind beeindruckt von der Kulisse, die aus allen Perspektiven hinreißend ist. In den mittelalterlichen Stadtkern kommen wir über eine kleine Brücke, dann schlendern wir die engen Gassen entlang, genießen den Blick über kleine Lücken in der geschlossenen Bebauung und finden schließlich ein bezauberndes Restaurant unter Arkaden am Hauptplatz der Stadt.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Da wir uns in einer Trüffelgegend befinden, müssen natürlich Tagliatelle mit Trüffeln sein, außerdem Porcini und für die Fleischesser Wildschweinnudeln. Alles schmeckt wunderbar, der Wein, das Essen und die Aussicht auf die barocke Kathedrale.

Nach einem weiteren Spaziergang fahren wir zum Lago Bolsena, der aus dem Einsturz einer Caldera, einer unterirdischen Magmakammer, entstand. Der See speist sich ausschließlich aus Regen und Grundwasser, er hat nur einen Abfluss, das Flüsschen Marta. Daher dauert es 120 Jahre, bis er sein Wasser ausgetauscht hat. Leider regnet es, so dass die Umfahrung auf der Uferstraße nicht die Aussichten und Schönheiten hervorhebt, die sie bei schönem Wetter bietet. Alle Lokale unterwegs sind geschlossen, die Campingplätze verwaist. Man erkennt, dass es sich um ein wunderbares Erholungsgebiet handeln muss, das jedoch aufgrund der fortgeschrittenen Jahreszeit derzeit wenig reizvoll ist.

Wir fahren bis zum Ort Bolsena, den eine riesige Burg dominiert.

Nach einer kleinen Stadtbesichtigung geht es wieder Richtung Heimat, vorbei an Orvieto, das im Abendlicht nahezu überirdisch strahlend vor uns liegt. Da scheint Gottes Plan wieder aufzugehen, diese Gegend als Paradies zu konzipieren.

 

Die Fahrt ist endlos, vor allem, weil wir zu dritt hinten im Auto sitzen. Es ist heiß und eng und unbequem, man weiß nach einer Weile kaum, wo man seine Gliedmaßen noch hinstrecken soll, ohne die anderen zu nerven. Zunehmend tun allen die Glieder weh, wir sind verschwitzt, müde und hungrig. Zum Glück haben wir fürsorgliche Freunde, die uns dafür ein leckeres Abendessen, bestehend aus Schinken, Salami, Käse, Oliven, Trauben und frischem Weißbrot kredenzen. Keiner von uns hätte mehr Lust auf weitere Autofahrten, so dass wir dankbar im Innenhof unseres Agriturismo Platz nehmen und die Delikatessen genießen, zu denen natürlich einige Flaschen des örtlichen Weiß- und Rotweins nicht fehlen dürfen.

 

Der Tag danach

3.10.21

Dank des guten Weins auf der Party und danach klagt niemand beim Frühstück über  Kopfweh. Nach Cappu und Teilchen beschließt ein Teil der Gruppe, nach Monteriggioni zu fahren, ein kleines Städtchen aus dem 13. Jahrhundert in der Nähe. Andere beschließen, die schöne Unterkunft zu genießen und im Garten Bridge (oder war es Canasta?) zu spielen.

Ich bin ja nicht so scharf auf Kartenspielen und kenne Monteriggioni noch nicht, also fahre ich mit. Zu viert steuern wir das Dörfchen an, über Landstraßen wie schöne Frauen: kurven- aber aussichtsreich.  Als der Monte vor uns liegt und den Blick auf die gewaltige Stadtmauer frei gibt, komme ich wieder mal ins Schwärmen.

Wir betreten das Städtchen durch die meterdicken Mauern und stehen sogleich auf dem Hauptplatz, der von Cafés und einer hübschen kleinen Kirche gesäumt wird. Souvenirshops und ein verrückter Schuhmacher leiten unseren Schritt zum anderen Ende, wo wir auf die Mauer steigen, um den weiten Blick über’s Land zu genießen.

Ein klitzekleines bisschen Great-Wall-of- China-Feeling macht sich breit. Beim Besuch der Kirche philosophiere ich mit Zoltán über Religionen im Allgemeinen und im Speziellen, das passt gut in die mittelalterliche Umgebung. Das Kirchlein ist stimmungsvoll und lädt zur Meditation, soviel Zeit nehmen wir uns allerdings dann doch nicht.

Zurück in Casole wartet Tibi schon mit den Resten der Speisen vom Vorabend, die sich natürlich keiner entgehen läßt, zumal die Getränke auch noch nicht ganz vernichtet sind. In sehr fröhlicher Stimmung kehren wir am späteren Nachmittag in unser Haus zurück, wo wir bis zum Abend entspannt die Pool-Area genießen. Einige trauen sich in das eiskalte Wasser, aber nur kurz. Es ist halt auch hier nicht mehr richtig Sommer, das Wasser wärmt sich nicht richtig auf. Gemütlicher ist es, auf der Liege ein Buch zu lesen oder weiter dem Spiel zu frönen.

Abends ist Pizzaessen angesagt in unserer Frühstücksbar, die angeblich die beste Pizza weit und breit serviert. Beim Aperitif verteilt Tibi kleine bezaubernde Keramiken an alle, die er selbst getöpfert hat. Wir sind gerührt, stoßen ein paar Mal öfter an und gehen beschwingt zum Essen. Die Pizza ist legendär, die Stimmung auch.

4.10.21

Ein Teil der Leute muss heute wieder zurückfahren, die Arbeit ruft! Wir glücklicheren Selbstständigen und Rentner bleiben und beschließen, dass die Weinstraße dran ist. Die erste Station ist Montalcino, die Heimat des weltberühmten Brunello.

Am Ortseingang steht eine riesige Burg, deren Innenhof völlig leer ist. Das einzig Sehenswerte ist die Aussicht auf die Toscana, die wir aber jetzt schon ein paar Mal genossen haben.

Wir schlendern durch die Strässchen, eine Enoteca nach der anderen, überall können die Spezialitäten der Region zu enormen Preisen erstanden werden. Wir sind Profis und kaufen nichts, sondern erfreuen uns an der hübschen Architektur. Auf einem der bezaubernden Plätze kehren wir ein und probieren das örtliche Lemon Soda, es ist einfach noch zu früh für Wein.

Weiter geht’s nach Pienza, eine von Papst Pius II. im 15. Jahrhundert als Idealstadt im  Renaissance-Stil geplante Stadt mit einem völlig übertriebenen Papstpalast, dem Palazzo Piccolomini, dessen Fertigstellung er nicht mehr erlebt hat.

Pienza liegt auf dem Weg nach Montepulciano, die zweite Weinstadt, die wir besuchen wollen. Hier kehren wir erst mal ein und genießen Aussicht und Vino Nobile bei Häppchen und Snacks.

Dann steigen wir hinauf zur Piazza Grande, dem mittelalterlichen Hauptplatz des Orts. In irgendeinem Reiseführer steht, dass es sich um einen der schönsten Plätze Europas handeln soll, was zu einer ausgiebigen Diskussion führt. So richtig nachvollziehen kann es keiner, besonders Karen ist ausgesprochen anderer Meinung und tut dies auch lautstark kund.

Von dem ihrer Meinung nach eher scheußlichen Platz laufen wir zurück zum Auto und finden uns bald darauf bei Ili und Tibi ein, die uns zum Abendessen eingeladen haben. Bei Vitello Tonnato und Pasta schwelgen wir in alten Zeiten, immerhin kennen wir uns alle schon fast das ganze Leben.

Die Party

2.10.21

Der Jubeltag beginnt in einer kleinen Bar in Casole d’Elsa. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, heißt es, da muss anscheinend noch einiges getan werden, um die Bruchstücke zu vereinen. Einig sind sich alle beim Caffè, in welcher Form auch immer – Cappuccino, Maroquino oder Latte Macchiato; was die feste Kost betrifft, gehen die Bedürfnisse sehr auseinander. Von gar nichts bis  Pizzasandwich bis Brioche, mit und ohne Füllung, süß oder salzig hat jeder seine eigene Frühstücksphilosophie. Der Himmel strahlt in schönstem Blau über uns, es ist warm und wir sitzen harmonisch auf der Terrasse.

Nach einiger Diskussion, welches Ziel wir heute ansteuern sollten, fällt die Wahl auf San Gimignano, die Stadt mit den meisten Wohntürmen und der besten Eisdiele der Welt, getestet und vielfach ausgezeichnet. Der Markt, den wir eigentlich suchen, findet zwar an einem anderen Tag statt, dafür schmeckt die kühle Köstlichkeit um so besser und ein Bummel durch die mittelalterlichen Strässchen ist immer eine Reise wert.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Angeblich ist Markt heute in Volterra. Also setzt sich die Karawane dorthin in Bewegung, um festzustellen, dass die Stände mittags schließen. Ein Sandwich geht gerade noch, dann ist alles zu. Und es fängt an zu regnen, womit keiner gerechnet hat. Wir sind in Italien, da regnet es nicht, auch wenn die Apps das Gegenteil behaupten. Wir besuchen Gott im Dom und fragen nachdrücklich, was das mit dem Wetter jetzt sein soll. Wie zu erwarten, antwortet er nicht. Wahrscheinlich nerven ihn diese Fragen schon, denn als wir wieder hinausgehen, gießt es kommentarlos in Strömen.  Wir flüchten unter die Sonnenschirme eines Restaurants, wo wir den Guss abwarten, bevor wir am Etruskischen Tor vorbei zu den Autos zurücklaufen.

Nach einer kurzen Erholungspause werfen wir uns in Schale und finden uns bei Cecilias Agriturismo ein, wo die Party stattfindet.

Der Jubilar begrüßt uns alle herzlichst, der Grill ist angeworfen,  Lamm und  Spanferkel brutzeln schon. Etwa die Hälfte der Gäste sind Italiener, die andere Hälfte Ungarn und ein paar angeheiratete Deutsche. Die Stimmung steigt, für alle ist es die erste größere Fete nach der Pandemie.

Es wird gigantisch. Nach toskanischen Vorspeisen mit Prosecco, Nudeln mit Weißwein und Fleischgerichten mit erlesenem Chianti schneidet der Jubilar die Torte an,  Vin Santo und uralter Grappa schließen das Festmahl ab.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Die Italiener fangen an, Volkslieder zu singen („Azzurro“ ). Unser Herr Musiker (müvész úr) greift ein, indem er sie dirigiert. Nach „O Sole mio“ dreht er sich zu den Ungarn und läßt die dagegen singen. Dann wieder die Italiener, die Ungarn usw.

Als allen die Lieder ausgehen, darf Freddie Mercury ran und alle singen mit. Am Ende laufen alle zusammen Polonaise, etwas, was keiner von uns auch nur ansatzweise in Betracht ziehen würde bei niedrigerem Promillegehalt.  Die geladene Jugend sieht uns erst etwas erstaunt zu, dann schließen sie sich an, was soll’s. Wahrscheinlich halten sie uns für völlig durchgeknallt respektive total besoffen, so haben sie die Altvorderen selten erlebt. Zur Sperrstunde (wegen der Nachbarn) müssen sie uns zwingen, aufzuhören und heimzugehen, im Agriturismo geht’s dann mangels Nachbarn zwar etwas ruhiger (keine Italiener mehr), aber doch bei mehr Wein und Grappa weiter. Keine Ahnung, wann und wie wir ins Bett gekommen sind.