Ausgangsbeschränkt, 1. Teil

9.-15. 3.2020

Die erste Woche nach dem Skiurlaub lief eigentlich ganz gut. Mein Alltag hat sich wenig verändert. Ich habe beschlossen, nur noch telefonische Beratungen zu machen, es läuft ganz gut. 90% der Leute akzeptieren das klaglos. Die Telefonkonferenzen klappen reibungslos, wenn es auch natürlich schöner ist, den Leuten gegenüber zu sitzen. Nachdem ich aber nicht weiß, ob ich mich vielleicht in Livigno angesteckt habe, möchte ich keinen gefährden. Meine Akten kann ich ja allein bearbeiten.

Am Wochenende ist alles draußen. Die Leute rennen in die Parks und in den Wald, die Straßen in die Berge sind überfüllt, einige Skigebiete noch offen. Italien hat schon dichtgemacht, Österreich schließt die Grenzen und lässt die Leute nur noch im Transit durch das Land. Die Skigebiete schließen. Ich bin froh, im Außenbezirk in einem Haus mit Garten zu wohnen und nicht mitten in der Stadt in einer Wohnung. So kann ich immer raus. Hinter unserem Haus beginnt auch bald der Forst, so dass Spaziergänge ohne Menschenmassen möglich sind. Die Situation ist beunruhigend, aber noch nicht desolat.

16.-22.3.2020 

Am Mittwoch, den 18.3. spricht die Bundeskanzlerin, vor allem den Leuten ins Gewissen, dass sie sich auf eine längere Zeit einstellen müssen, in der die Dinge anders laufen. Es ist absehbar, dass  Ausgangsverbote kommen. Noch appelliert die Politik an die Vernunft der Leute; dass das schiefgeht, hat man letztes Wochenende aber deutlich gesehen.

IMG_2191 2

Alle Gerichtstermine sind abgesagt bis Ende April. Ich hänge den ganzen Tag am Telefon und rede mit den Leuten, zwischendurch ackere ich mich durch meine Post, berechne Unterhalt, Zugewinn, Erbschaften und alles andere und wundere mich über die Ratschläge, wie man die Zeit daheim rumkriegen soll. Ich sitze jedenfalls bis spät im Büro und bin daheim nicht mehr im Stande, kreative Spiele zu machen. Der Anwaltverein teilt uns mit, wir seien systemrelevant. Die Anwaltskammer teilt uns mit, ab einer Woche Schließung der Kanzlei sind wir verpflichtet, für einen Vertreter zu sorgen. Aha. Und wo soll man den jetzt hernehmen, wenn alle krank oder in Quarantäne sind? Die anderen haben ja auch Kanzleien, in denen sie unabkömmlich sind. Theorie und Praxis.

Am Freitag teilt der Ministerpräsident mit, dass wir jetzt ausgangsbeschränkt sind. Nur noch zum Arzt, in die Arbeit oder zum Einkaufen soll man aus dem Haus. Und zum Spazierengehen oder Sport treiben an die frische Luft, aber nur allein oder mit Leuten, mit denen man im gleichen Haushalt lebt. Wie wollen sie das kontrollieren? Muss jetzt jeder eine Meldebescheinigung mit sich rumtragen? Ich verstehe den Sinn des Ganzen, also halte ich mich dran.

Am Wochenende wird verschärft kontrolliert. Offenbar halten sich immer noch nicht alle an die Regeln. Die Polizei muss immer wieder Parties auflösen und Grillfeste beenden. Nebenbei sterben in Italien die Menschen zu hunderten jeden Tag. Wieso kapieren die Leute nicht, dass es nicht um sie persönlich geht, sondern darum, unser Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren?

23.-29.3.

Ich glaube, ich habe  noch nie soviel telefoniert wie in der letzten Woche. Beruflich und privat, irgendwie muss man ja mit den Leuten in Kontakt bleiben. Mit den Kindern haben wir „Houseparty“, eine App, mit der man gemeinsam Spiele spielen kann. Mich belastet die Ausgangssperre weniger, ich bin ja tagsüber nicht daheim und kann in der Gemeinde und im Wald rumradeln oder laufen und Podcasts hören. Was eher ungewohnt ist: Die Restaurants haben geschlossen, ich muss also kochen. Jeden Tag. Ich entdecke neue Talente und koche immer gleich für zwei Tage vor. Geht auch.

IMG_9719_2

Am Sonntag ist meine Tiefkühltruhe voll. Jetzt muß ich mir entweder noch eine zulegen oder das eingefrorene Zeug essen. Zum Glück hat sich ein örtliches Restaurant was einfallen lassen: Ein Drive In mit regionalen Produkten. Sie erweitern ihr Sortiment praktisch stündlich, von Weißwurst-Paket bis Nudeln und Brot, Marmelade, Honig, Gemüsekiste bis Schmalznudeln. Ab Montag gibt’s jeden Tag ein Mittagessen zum Mitnehmen. (www.landlust.de) Die Infrastruktur kommt langsam in Gang.

Eigentlich arbeite ich schon wieder die ganze Zeit. Wäsche waschen, kochen, ein bis zwei Stunden Sport pro Tag, Buchhaltung, das Wochenende ist ausgefüllt. Mir fehlen langsam die Leute. Heute war Matthias da, wir haben ein Weißwurst-Packerl von der Landlust gefrühstückt, mit Brezen, süßem Senf und Weißbier. Um zehn Uhr morgens, also eigentlich neun, heute Nacht wurde ja die Zeit umgestellt. Geht. Auch wenn die Norddeutschen das vielleicht nicht verstehen. Wahrscheinlich verhaften sie uns jetzt, weil wir nicht zusammen leben und trotzdem….Aber keine Sorge: Wir sind bei 10 Grad Celsius im Garten gesessen, in Daunenjacken, mit einem langen Tisch dazwischen und einer Feuerschale, die uns ein bisschen gewärmt hat. Als das Holz heruntergebrannt war, ist Matthias heimgegangen, zu kalt und reingehen kam nicht in Frage.

Frühlingsfest

München im Frühling. Eine ambivalente Veranstaltung. Den einen Tag ist es wunderschön, alles blüht, die weißen und rosa Blütenblätter der Kirsch- Apfel- und Mandelbäumchen erzeugen den Eindruck von Schneefall bei strahlendem Sonnenschein. Die Leute freuen sich an den – endlich- angenehmen Temperaturen und bevölkern die Biergärten und Sonnenterrassen der Stadt.

Den nächsten Tag schneit es. Die Temperaturen sinken unter Null Grad, Wolken rasen im eisigen Wind über den Himmel und die Flocken fallen dick und frostig auf den gerade erst antauenden Boden. Die Tulpen verstecken sich unter einer Haube aus Schnee, die Magnolien frieren vor sich hin wie die Menschen, die in Häuser und Cafés flüchten.

In diesem alljährlichen Wechselbad öffnet  das Frühlingsfest auf der Theresienwiese, dem Ort, wo im September das Oktoberfest stattfindet. Bierzelt, Essensstände, Karussells, alles nur etwas weniger und kleiner als beim weltberühmten Besäufnis im Herbst. Dafür sind weniger Touristen da und mehr Münchner.

Am ersten Samstag findet direkt daneben auch noch der größte Flohmarkt der Stadt seine Fans, die zwischen Ramsch und Büchern und Second-Hand-Alles ihren Spaß haben. Er ist riesig, mindestens ein Halbtagesprogramm für die, die wirklich interessiert sind und etwas suchen.

Mir wird es ewig ein Rätsel bleiben, was Leute dazu treibt, den Schrott, den andere aus ihrem Speicher/Keller aussortieren, zu kaufen und sich selber in die Wohnung zu stellen. Wenn überhaupt, würde ich hier höchstens das ein oder andere gebrauchte Buch finden, aber da müsste ich zwischen den tausenden alten Schundromanen und Krimis auch lange suchen. Fans alter Vinylplatten kommen auf ihre Kosten, auch gebrauchtes Lego, Playmobil und sonstiges Spielzeug lässt sich finden.

Ob ihr’s glaubt oder nicht: ich war heuer das erste Mal in meinem Leben auf dem Frühlingsfest. Es hat sich noch nie ergeben, obwohl ich mein ganzes Leben in dieser Stadt wohne. Den Flohmarkt habe ich dann auch gleich mitgekriegt, die anderen wollten unbedingt schauen, was es so gibt. Wie erwartet: Nichts, was man unbedingt haben muss, aber zum Durchgehen und sich Wundern ist es allemal eine nette Abwechslung.

Nachdem wir uns lange genug gewundert haben, sind wir  im Hippodrom gelandet, einem Traditionsbierzelt, das auf der Wies’n geschlossen wurde, hier aber stattfinden darf.

Ein, zwei Maß später, Bier oder Apfelschorle, je nach Geschmack, dazu alternativ ein Wagyu-Burger oder Schweinsbraten, ist die Münchner Welt in Ordnung und das eiskalte Wetter vergessen.

Memory

Ich war ja ein paar Mal in der Durchgangseinrichtung in München/Dornach und hab dort die Erstaufnahme von total erschöpften Leuten begleitet, die dort für ein paar Stunden Ruhe gefunden haben. Die Erlebnisse dort waren intensiv und beeindruckend.

Jedenfalls habe ich mir gedacht, ich sollte mich vielleicht mehr an meinem Wohnort einbringen, als ich erfahren habe, dass die Turnhalle des Gymnasiums für Flüchtlinge geöffnet wird. Also habe ich Kontakt zum örtlichen Helferkreis aufgenommen und meine Bereitschaft erklärt, mitzuarbeiten.

Als erstes habe ich drei junge Männer aus Senegal zum Rechtsanwalt für Ausländerrecht begleitet. Der Leiter des Helferkreises war dankbar, jemanden dabei zu haben, der Juristisch auf Deutsch übersetzen konnte und die richtigen Fragen gestellt hat. Die Jungs haben abenteuerliche Reisen hinter sich, zwei kamen über Melilla, einer über Lampedusa ins gelobte Euroland. Aussichten, als politischer Flüchtling in Deutschland anerkannt zu werden, gleich Null. Es ging aber eher darum, die Abschiebung nach Italien/Spanien zu verhindern. Es ist schwierig, sich da eine Meinung zu bilden. Einerseits kann natürlich nicht jeder einen Status bekommen, der das gern hätte, schon klar, Dublin und so. Andererseits fällt es einem schon wesentlich schwerer,  so hart zu bleiben, wenn man die Leute persönlich kennt. Man erklärt ihnen halt, dass sie eigentlich keine Aussicht haben, versucht aber, die hoffnungsvollen Blicke nicht ganz in die Verzweiflung abstürzen zu sehen, indem man ihnen erklärt, dass das Verfahren Jahre dauern kann. Schwierig für alle Beteiligten. Die sind ja auch erst Anfang 20 und haben alles aufgegeben für eine unrealistische Hoffnung.

Dann war ich in der Turnhalle und habe mir angeschaut, wie die Leute dort leben. Reihen von Stockbetten, verteilt über den ganzen Raum, 200 Leute wohnen dort für einige Monate. Privatsphäre gibt es nicht. Männer, Frauen, Memory weiterlesen