Nicht mehr ganz so ausgangsbeschränkt, Teil 7

18.4.

Immer noch strahlender Sonnenschein und dunkelblauer Himmel, seit Wochen. Was könnte man alles unternehmen! Wo könnte man überall hinfahren! Für die Landwirtschaft ist dieser supertrockene April eine Katastrophe, für den ausgangsbeschränkten Bürger ein Segen.

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Die Tage gleichen sich immer mehr. Ich versuche zwar, jeden Tag irgendwas Besonderes zu erleben, es wird aber nicht einfacher. Immerhin bin ich heute mit einer Freundin spazieren gegangen, fast 10 km, das war hoch willkommen. Wir dürfen das anscheinend jetzt, oder doch erst ab Montag? Oder eine Woche später? Keine Ahnung, jedenfalls sehe ich kein Problem mit Ansteckung, wenn zwei Leute, die seit Wochen praktisch keine Außenkontakte hatten, draußen berührungslos durch den Wald gehen. Und ob ich das jetzt heute anfange oder am Montag, ist dann auch egal. In anderen Bundesländern dürfen sie das ja auch schon länger.

Merkt ihr was? So langsam kommt ein wenig Trotz auf. Die Beschränkungen werden nicht mehr ohne jede Einschränkung akzeptiert. Ich denke, es kommt darauf an, wie neue Regeln kommuniziert werden. Ein bisschen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da doch ein paar Profilierungswünsche eine Rolle spielen, die nicht unbedingt nur etwas mit der Volksgesundheit zu tun haben. Das ist gefährlich. Grundsätzlich sind ja noch die meisten dabei, wenn es um die Reduzierung von Kontakten geht. Aber wenn die Regeln unklar sind und vor allem die Begründung ebendieser Regeln nicht nachvollziehbar, dann regt sich doch ein wenig innerer Widerstand, der, wenn er um sich greift, das Gesamtprojekt gefährden könnte. Damit ist aber keinem gedient.

19.4. Sonntag

Um meiner Radlerei ein Ziel zu geben, habe ich heute mit meiner Schwester verabredet, dass wir uns entgegen fahren, dann zusammen ein Eis holen und wieder heimfahren. Meine Schwester wohnt 15 km weit weg von mir, also ist das eine schöne Tour hin und zurück. Vor der Eisdiele stehen 50 m Leute an, alle brav auf Abstand, weshalb es dann auch relativ schnell geht. Wir setzen uns auf einen Zaun, die nahegelegenen Parkbänke sind alle schon voll, und freuen uns, dass wir uns endlich mal wieder sehen.

20.4.

Langsam wird es wieder etwas lebendiger im Büro. Es rufen wieder Leute an. Dafür klappt das mit halbtags schon wieder nicht.

Abends schaue ich bei Matthias vorbei, der heute Geburtstag hat. Die Besucher geben sich die Tür in die Hand, damit nicht mehr als zwei auf einmal da sind. Nebenbei läuft „Houseparty“ mit wechselnder Besetzung. So geht’s dann auch mit dem Abstand und so. Ivy bringt wunderbaren frischen Käsekuchen, Matthias hat noch Spargelsuppe, dazu Rosé, läuft mit der Party.

21.4.

Ich merke, dass meine Sportbegeisterung nachlässt, sobald ich wieder bis abends im Büro sitze. Ich sollte also nicht bis abends im Büro sitzen, das wäre für meine Figur, meine Laune und meinen Schlaf entschieden besser. Eigentlich habe ich keine Lust auf Rückkehr ins Hamsterrad, wenn die Beschränkungen mal aufgehoben werden.

Auf meiner Liege in der Sonne bekomme ich Besuch.

Der Wetterbericht sagt, dass es bisher im April 3% der normalen Niederschläge für diesen Monat hatte. Alles vertrocknet, ich gieße meine Blumen jeden Tag. Für die Vögel und Igel habe ich Schälchen mit Wasser aufgestellt. Im Brunnen baden die Amseln.

22.4.

Ein gegnerischer Rechtsanwalt schreibt mir so böse Briefe, dass ich den Fall nicht bearbeiten mag. Eigentlich ist die Mandantin sehr nett, aber dieser Gegner ist ganz schlimm. Was für ein trauriges Leben muss der haben, wenn er so aggressiv gegenüber einer Kollegin ist, die er gar nicht persönlich kennt. Da schreit der Frust aus jeder Zeile. Zum Glück sind solche Typen selten, sonst hätte ich den Beruf schon aufgegeben. Irgendwie packe ich sowas zur Zeit nicht gut.

23.4.

Caro hat Masken! Ich fahre in ihre Praxis und kaufe ihr ein Päckchen ab. Die brauche ich ab übernächste Woche für die Mandanten, die keine eigenen dabei haben. Eigentlich müssen ja alle welche haben, wg. Maskenpflicht und so. Aber wie ich die Leute kenne, werden wieder einige ohne kommen. Dann möchte ich den Service bieten können, ohne mich und andere unverhältnismäßig zu gefährden, und ihnen eine überlassen.

24.4.

Geburtstage in Zeiten von Corona: Ich gratuliere meiner Schwester mittags und wir feiern mit Paella und Kuchen vom Drive-in.  Da kommt Party-Laune auf!

 

Ich hab keine Lust mehr auf diesen Scheiß.

 

 

 

Immernochausgangsbeschränkt, Teil 3

Wochenende, 4. und 5. April 2020

Bissl öd wird’s langsam schon. Am Samstag wache ich um 7 Uhr auf, völlig ungewöhnlich für mich an Wochenenden, aber ich gehe ja schon relativ früh ins Bett, weil abends einfach nichts los ist. Was macht man an einem Samstag um diese Uhrzeit? Der Tag liegt lang und ereignislos vor mir. Ich surfe ein bisschen auf Facebook rum, na ja, auch nicht gerade das, was mich begeistert , dann beschließe ich, aufzustehen und Sport zu treiben. Das hebt die Laune.

Das Wetter ist schön, also schwinge ich mich auf’s Radl und fahre zu Freunden, denen ich ein Stück Bananenbrot an die Tür hänge. Dann radle ich durch Ingelsberg in den Ebersberger Forst, zuerst zum Forsthaus Diana, dann zum Forsthaus Hubertus, leider beide zur Zeit nicht bewirtschaftet, dann über Anzing und Purfing wieder zurück. Das sind dann so 35 km, also knapp 2 Stunden, ich hab’s nicht gemessen und keinen Tacho am Rad. Muss ich mir mal zulegen. Die Sonne strahlt, der Frühling bricht mit Gewalt aus und wir sollen alle daheim bleiben. Das hältst ja nicht aus.

Die Nachrichten sind allerdings fürchterlich. New York steht kurz vor dem Kollaps, die Welt ist ausgestorben, überall lockdown, von Europa über Asien bis Australien und Neuseeland, auch die Amis kriegen jetzt langsam mit, was los ist, nachdem ihr schwachsinniger Präsident seit Monaten versucht, die Gefahr runterzuspielen. Die Sterberaten in einigen Ländern sind monströs, die Krematorien überfüllt, Leichen müssen in Kühlwagen zwischengelagert werden. Und immer noch gibt es Leute, die der Meinung sind, es sei alles nicht so schlimm, nur Panikmache der Regierungen (wohlgemerkt: aller Regierungen der Welt, außer vielleicht Nordkorea). Die glauben wahrscheinlich auch, dass das Virus durch Außerirdische eingeschleust wurde, damit die die Weltherrschaft übernehmen können. Und träumen von Einhörnern, wenn sie abends ihren Aluhut abgenommen haben.

Es ist surreal. Bilder im Fernsehen von ausgestorbenen Städten auf der ganzen Welt, indische Polizisten, die die Leute in ihre Häuser zurückprügeln, verzweifelte Ärzte, die aussortieren müssen, wer an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird und wer stirbt. Völlig erschöpfte Krankenschwestern mit roten Striemen im Gesicht von den Atemmasken und diese Idioten, die immer noch glauben, das sei normal.

Ich finde ja auch, dass einige Maßnahmen übertrieben sind und dass man durchaus diskutieren muss, welche Grundrechtseingriffe noch in Ordnung und verhältnismäßig sind und welche zu weit gehen. Natürlich muss auch diskutiert werden, wie die Wirtschaft gestützt bzw. gerettet werden kann. Natürlich muss es Programme geben, die verhindern, dass alles den Bach runtergeht. Allerdings glaube ich, dass diese Diskussion sinnvoll wahrscheinlich erst nach diesem Irrsinn geführt werden kann. Das Chaos im Moment einer derart fundamentalen Krise ist sicher kein guter Ratgeber für Grundsatzdiskussionen. Im Augenblick geht es um das Leben von sehr, sehr vielen Menschen und  die Menschheit reagiert nur auf die täglich sich ändernden Voraussetzungen und jede Regierung macht halt, was sie für sinnvoll und wirksam hält aufgrund dessen, was ihr diverse Experten sagen. Was anderes können die ja auch gar nicht tun, keiner war schon in so einer Situation, also woher sollen sie es besser wissen. Und da muss ich sagen, ich bin froh, dass ich in Deutschland lebe mit einer Wissenschaftlerin als Bundeskanzlerin, die kühles Abwägen zum Regierungsprinzip gemacht hat und nicht in Amiland mit so einem mäßig intelligenten Typen, der alles nur schlimmer macht, indem er die ganze Krise als Wahlkampfprogramm begreift. Und dass wir hier ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle haben. Und dass es – hard to say – Leute wie Markus Söder gibt, die nicht lang rumtun, sondern die nötigen Entscheidungen treffen, auch wenn sie sich  vielleicht hinterher als zu rigoros herausstellen sollten. Auch dem halte ich zu Gute, dass er nur das tut, was er für im Augenblick nötig hält und nicht den freiheitlichen Rechtsstaat als solchen in Frage stellt. Ich war nie ein Freund der CSU oder gar Söders, aber im Augenblick ist er derjenige, der die anderen vor sich her treibt und das ist gut so. 

Am Sonntag gebe ich mir ein Work Out auf YouTube, sehr zu empfehlen alles was Franziska Beckmann da so macht. Yogalates zum Beispiel. Da weißt du, was du getan hast nachher. Hart aber effektiv. Dann radle ich zur Landlust, www.zurlandlust.de, bei Regio-Drive-In dort habe ich Mittagessen bestellt. Dann Mittagessen. Dann in der Sonne liegen und lesen. Dann helle Vorhänge aufhängen für den Sommer und Osterdeko rausstellen. Wenn ich anfange, zu dekorieren, muss schon sehr wenig los sein. Nachdem ich die Wäsche dann zusammengefaltet und in die Schränke gepackt habe, auf der Terrasse sitzen und schreiben. Dann Netflix oder so. Seufz. Mir fehlen die Leute. Mir fehlen meine Kinder. Und nächste Woche ist Ostern und wir hocken immer noch allein da.

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Meanwhile in Baldham…

Ausgangsbeschränkt, 1. Teil

9.-15. 3.2020

Die erste Woche nach dem Skiurlaub lief eigentlich ganz gut. Mein Alltag hat sich wenig verändert. Ich habe beschlossen, nur noch telefonische Beratungen zu machen, es läuft ganz gut. 90% der Leute akzeptieren das klaglos. Die Telefonkonferenzen klappen reibungslos, wenn es auch natürlich schöner ist, den Leuten gegenüber zu sitzen. Nachdem ich aber nicht weiß, ob ich mich vielleicht in Livigno angesteckt habe, möchte ich keinen gefährden. Meine Akten kann ich ja allein bearbeiten.

Am Wochenende ist alles draußen. Die Leute rennen in die Parks und in den Wald, die Straßen in die Berge sind überfüllt, einige Skigebiete noch offen. Italien hat schon dichtgemacht, Österreich schließt die Grenzen und lässt die Leute nur noch im Transit durch das Land. Die Skigebiete schließen. Ich bin froh, im Außenbezirk in einem Haus mit Garten zu wohnen und nicht mitten in der Stadt in einer Wohnung. So kann ich immer raus. Hinter unserem Haus beginnt auch bald der Forst, so dass Spaziergänge ohne Menschenmassen möglich sind. Die Situation ist beunruhigend, aber noch nicht desolat.

16.-22.3.2020 

Am Mittwoch, den 18.3. spricht die Bundeskanzlerin, vor allem den Leuten ins Gewissen, dass sie sich auf eine längere Zeit einstellen müssen, in der die Dinge anders laufen. Es ist absehbar, dass  Ausgangsverbote kommen. Noch appelliert die Politik an die Vernunft der Leute; dass das schiefgeht, hat man letztes Wochenende aber deutlich gesehen.

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Alle Gerichtstermine sind abgesagt bis Ende April. Ich hänge den ganzen Tag am Telefon und rede mit den Leuten, zwischendurch ackere ich mich durch meine Post, berechne Unterhalt, Zugewinn, Erbschaften und alles andere und wundere mich über die Ratschläge, wie man die Zeit daheim rumkriegen soll. Ich sitze jedenfalls bis spät im Büro und bin daheim nicht mehr im Stande, kreative Spiele zu machen. Der Anwaltverein teilt uns mit, wir seien systemrelevant. Die Anwaltskammer teilt uns mit, ab einer Woche Schließung der Kanzlei sind wir verpflichtet, für einen Vertreter zu sorgen. Aha. Und wo soll man den jetzt hernehmen, wenn alle krank oder in Quarantäne sind? Die anderen haben ja auch Kanzleien, in denen sie unabkömmlich sind. Theorie und Praxis.

Am Freitag teilt der Ministerpräsident mit, dass wir jetzt ausgangsbeschränkt sind. Nur noch zum Arzt, in die Arbeit oder zum Einkaufen soll man aus dem Haus. Und zum Spazierengehen oder Sport treiben an die frische Luft, aber nur allein oder mit Leuten, mit denen man im gleichen Haushalt lebt. Wie wollen sie das kontrollieren? Muss jetzt jeder eine Meldebescheinigung mit sich rumtragen? Ich verstehe den Sinn des Ganzen, also halte ich mich dran.

Am Wochenende wird verschärft kontrolliert. Offenbar halten sich immer noch nicht alle an die Regeln. Die Polizei muss immer wieder Parties auflösen und Grillfeste beenden. Nebenbei sterben in Italien die Menschen zu hunderten jeden Tag. Wieso kapieren die Leute nicht, dass es nicht um sie persönlich geht, sondern darum, unser Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren?

23.-29.3.

Ich glaube, ich habe  noch nie soviel telefoniert wie in der letzten Woche. Beruflich und privat, irgendwie muss man ja mit den Leuten in Kontakt bleiben. Mit den Kindern haben wir „Houseparty“, eine App, mit der man gemeinsam Spiele spielen kann. Mich belastet die Ausgangssperre weniger, ich bin ja tagsüber nicht daheim und kann in der Gemeinde und im Wald rumradeln oder laufen und Podcasts hören. Was eher ungewohnt ist: Die Restaurants haben geschlossen, ich muss also kochen. Jeden Tag. Ich entdecke neue Talente und koche immer gleich für zwei Tage vor. Geht auch.

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Am Sonntag ist meine Tiefkühltruhe voll. Jetzt muß ich mir entweder noch eine zulegen oder das eingefrorene Zeug essen. Zum Glück hat sich ein örtliches Restaurant was einfallen lassen: Ein Drive In mit regionalen Produkten. Sie erweitern ihr Sortiment praktisch stündlich, von Weißwurst-Paket bis Nudeln und Brot, Marmelade, Honig, Gemüsekiste bis Schmalznudeln. Ab Montag gibt’s jeden Tag ein Mittagessen zum Mitnehmen. (www.landlust.de) Die Infrastruktur kommt langsam in Gang.

Eigentlich arbeite ich schon wieder die ganze Zeit. Wäsche waschen, kochen, ein bis zwei Stunden Sport pro Tag, Buchhaltung, das Wochenende ist ausgefüllt. Mir fehlen langsam die Leute. Heute war Matthias da, wir haben ein Weißwurst-Packerl von der Landlust gefrühstückt, mit Brezen, süßem Senf und Weißbier. Um zehn Uhr morgens, also eigentlich neun, heute Nacht wurde ja die Zeit umgestellt. Geht. Auch wenn die Norddeutschen das vielleicht nicht verstehen. Wahrscheinlich verhaften sie uns jetzt, weil wir nicht zusammen leben und trotzdem….Aber keine Sorge: Wir sind bei 10 Grad Celsius im Garten gesessen, in Daunenjacken, mit einem langen Tisch dazwischen und einer Feuerschale, die uns ein bisschen gewärmt hat. Als das Holz heruntergebrannt war, ist Matthias heimgegangen, zu kalt und reingehen kam nicht in Frage.