Immernochausgangsbeschränkt, Teil 3

Wochenende, 4. und 5. April 2020

Bissl öd wird’s langsam schon. Am Samstag wache ich um 7 Uhr auf, völlig ungewöhnlich für mich an Wochenenden, aber ich gehe ja schon relativ früh ins Bett, weil abends einfach nichts los ist. Was macht man an einem Samstag um diese Uhrzeit? Der Tag liegt lang und ereignislos vor mir. Ich surfe ein bisschen auf Facebook rum, na ja, auch nicht gerade das, was mich begeistert , dann beschließe ich, aufzustehen und Sport zu treiben. Das hebt die Laune.

Das Wetter ist schön, also schwinge ich mich auf’s Radl und fahre zu Freunden, denen ich ein Stück Bananenbrot an die Tür hänge. Dann radle ich durch Ingelsberg in den Ebersberger Forst, zuerst zum Forsthaus Diana, dann zum Forsthaus Hubertus, leider beide zur Zeit nicht bewirtschaftet, dann über Anzing und Purfing wieder zurück. Das sind dann so 35 km, also knapp 2 Stunden, ich hab’s nicht gemessen und keinen Tacho am Rad. Muss ich mir mal zulegen. Die Sonne strahlt, der Frühling bricht mit Gewalt aus und wir sollen alle daheim bleiben. Das hältst ja nicht aus.

Die Nachrichten sind allerdings fürchterlich. New York steht kurz vor dem Kollaps, die Welt ist ausgestorben, überall lockdown, von Europa über Asien bis Australien und Neuseeland, auch die Amis kriegen jetzt langsam mit, was los ist, nachdem ihr schwachsinniger Präsident seit Monaten versucht, die Gefahr runterzuspielen. Die Sterberaten in einigen Ländern sind monströs, die Krematorien überfüllt, Leichen müssen in Kühlwagen zwischengelagert werden. Und immer noch gibt es Leute, die der Meinung sind, es sei alles nicht so schlimm, nur Panikmache der Regierungen (wohlgemerkt: aller Regierungen der Welt, außer vielleicht Nordkorea). Die glauben wahrscheinlich auch, dass das Virus durch Außerirdische eingeschleust wurde, damit die die Weltherrschaft übernehmen können. Und träumen von Einhörnern, wenn sie abends ihren Aluhut abgenommen haben.

Es ist surreal. Bilder im Fernsehen von ausgestorbenen Städten auf der ganzen Welt, indische Polizisten, die die Leute in ihre Häuser zurückprügeln, verzweifelte Ärzte, die aussortieren müssen, wer an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird und wer stirbt. Völlig erschöpfte Krankenschwestern mit roten Striemen im Gesicht von den Atemmasken und diese Idioten, die immer noch glauben, das sei normal.

Ich finde ja auch, dass einige Maßnahmen übertrieben sind und dass man durchaus diskutieren muss, welche Grundrechtseingriffe noch in Ordnung und verhältnismäßig sind und welche zu weit gehen. Natürlich muss auch diskutiert werden, wie die Wirtschaft gestützt bzw. gerettet werden kann. Natürlich muss es Programme geben, die verhindern, dass alles den Bach runtergeht. Allerdings glaube ich, dass diese Diskussion sinnvoll wahrscheinlich erst nach diesem Irrsinn geführt werden kann. Das Chaos im Moment einer derart fundamentalen Krise ist sicher kein guter Ratgeber für Grundsatzdiskussionen. Im Augenblick geht es um das Leben von sehr, sehr vielen Menschen und  die Menschheit reagiert nur auf die täglich sich ändernden Voraussetzungen und jede Regierung macht halt, was sie für sinnvoll und wirksam hält aufgrund dessen, was ihr diverse Experten sagen. Was anderes können die ja auch gar nicht tun, keiner war schon in so einer Situation, also woher sollen sie es besser wissen. Und da muss ich sagen, ich bin froh, dass ich in Deutschland lebe mit einer Wissenschaftlerin als Bundeskanzlerin, die kühles Abwägen zum Regierungsprinzip gemacht hat und nicht in Amiland mit so einem mäßig intelligenten Typen, der alles nur schlimmer macht, indem er die ganze Krise als Wahlkampfprogramm begreift. Und dass wir hier ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle haben. Und dass es – hard to say – Leute wie Markus Söder gibt, die nicht lang rumtun, sondern die nötigen Entscheidungen treffen, auch wenn sie sich  vielleicht hinterher als zu rigoros herausstellen sollten. Auch dem halte ich zu Gute, dass er nur das tut, was er für im Augenblick nötig hält und nicht den freiheitlichen Rechtsstaat als solchen in Frage stellt. Ich war nie ein Freund der CSU oder gar Söders, aber im Augenblick ist er derjenige, der die anderen vor sich her treibt und das ist gut so. 

Am Sonntag gebe ich mir ein Work Out auf YouTube, sehr zu empfehlen alles was Franziska Beckmann da so macht. Yogalates zum Beispiel. Da weißt du, was du getan hast nachher. Hart aber effektiv. Dann radle ich zur Landlust, www.zurlandlust.de, bei Regio-Drive-In dort habe ich Mittagessen bestellt. Dann Mittagessen. Dann in der Sonne liegen und lesen. Dann helle Vorhänge aufhängen für den Sommer und Osterdeko rausstellen. Wenn ich anfange, zu dekorieren, muss schon sehr wenig los sein. Nachdem ich die Wäsche dann zusammengefaltet und in die Schränke gepackt habe, auf der Terrasse sitzen und schreiben. Dann Netflix oder so. Seufz. Mir fehlen die Leute. Mir fehlen meine Kinder. Und nächste Woche ist Ostern und wir hocken immer noch allein da.

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Meanwhile in Baldham…

Ausgangsbeschränkt, 2.Teil

31.3.2020

Ein bißchen übertreiben sie’s dann doch. Man soll ja das Haus nur verlassen, wenn man zum Arzt, in die Arbeit, zum Einkaufen oder zum Sporttreiben will. Längeres Sitzen auf Parkbänken: verboten. Warum, verstehe ich nicht so ganz. Man kann doch mit seinem Ehepartner oder Kind ein bißchen in der Sonne sitzen, auch eine halbe Stunde oder so, und das Wetter genießen. Es kommt doch nicht auf die Zeit an, sondern auf Kontakte, dachte ich. Wieso soll man da nicht sitzen dürfen?

 

Vor meinem Bürofenster sitzt eine ältere Frau auf einer Parkbank, raucht eine Zigarette und trinkt einen Coffee to go. Im Erdgeschoß ist eine Bäckerei (also ein systemrelevanter  Betrieb).  Wäre mir erstmal nicht aufgefallen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der lebensgefährlichen Ansteckung, sie war allein. Weit und breit kein anderer Mensch zu sehen. Bis ein Polizeiauto vorfuhr. Zwei Sheriffs steigen aus, gehen auf sie zu und reden sie an. Sie gestikuliert und schimpft, offenbar wollen die Polizisten sie von der Parkbank weghaben, warum auch immer. Nach einiger Diskussion verziehen sie sich Richtung S-Bahnsteig. Die Frau setzt sich wieder und raucht weiter. Zwei Minuten später kommen die Polizisten wieder. Die Frau schaut kurz, wirft die Zigarette weg und entfernt sich mit ihrem Kaffee. Warum sie den jetzt da nicht mehr trinken durfte, ich verstehe es nicht. Das ist doch unverhältnismäßig und schießt über das Ziel hinaus. Bei allem Verständnis für die derzeit wohl notwendigen Kontaktverbote, aber sowas geht für mich zu weit. Sie wollte da doch nur sitzen, hat keinen gefährdet und nur ein bisschen die Sonne genossen!

1.4.

Die Situation fühlt sich immer noch total surreal an. Man denkt irgendwas, ach, ich könnte mir doch dies und das besorgen, hier oder da hinfahren, den oder jenen besuchen, eine Millisekunde später fällt einem ein, ach ne, geht ja nicht, ist ja alles zu. Von Klopapier ganz zu schweigen. Ein paar Konzerne haben angekündigt, ab sofort keine Miete mehr zu bezahlen, weil es neuerdings ein Gesetz gibt, dass während der Krise Mietzahlungen ausgesetzt werden dürfen, ohne dass Kündigung droht. Das war allerdings eher für kleine Läden gedacht, nicht für Großkonzerne. Zwei Stunden später wurden sie dermaßen überrollt von Boykottaufrufen, dass sie jetzt schon wieder zurückrudern. Na also, geht doch.

Ich telefoniere andauernd. Interessanterweise ändert sich gerade die Stimmung unter den Anwälten. Wir plaudern freundlich miteinander, wenn einer eine Fristverlängerung braucht, ist das derzeit überhaupt kein Problem, weil die Rechtspflege sowieso stillsteht und man wenig erledigt kriegt. Die Gerichte arbeiten nur bedingt, Verhandlungen finden nicht statt, bis Ende April ist alles abgesagt. Neue Mandate kommen kaum rein, dafür haben die bestehenden Mandanten offenbar Zeit, sich um ihre Fälle zu kümmern und beschäftigen uns jetzt um so mehr.

2. 4.

Super Wetter, ich radle ins Büro. Leichtsinnigerweise habe ich meiner Büroleiterin ab morgen bis nach Ostern Urlaub gegeben. Wir haben vor, heute alles abzuarbeiten, damit wir beide morgen frei haben und ich nächste Woche trotzdem nicht absaufe. Eigentlich wäre ich gern heute mittag schon fertig, das Wetter schreit nach Radltour. Netter Plan, leider nicht mit der Realität vereinbar. Mittagessen fällt aus, ein Sandwich tut’s auch.

Ein neuer Mandant will unbedingt mit mir reden, bevor ich einen Telefontermin mit ihm mache. Wieso? Er will checken, ob ich die Richtige für ihn bin. Es gäbe ja so viele Anwälte und was unterscheidet mich von all den anderen. Was spräche dafür, dass er ausgerechnet mich engagieren soll.  Tja, da kann ich ihm auch nicht helfen. Ob wir uns sympathisch sind, können wir schwer telefonisch klären. Und ob ich besser für sein spezielles Problem bin als all die anderen, weiß ich auch nicht. Ich zucke virtuell die Schultern, die Entscheidung nehme ich ihm nicht ab. Anscheinend findet er es gut, dass ich nicht versuche, mich besonders toll darzustellen, sondern ihn relativ schnell verabschiede. Eine Stunde später macht er einen Termin aus.

Der ganze schöne Sonnentag: Dahin!

3.4.

Freitag. Das nehme ich jetzt mal wörtlich. Es klappt fast. Ich muss nur einer über  90jährigen sehr netten Mandantin ihre Unterlagen zurückbringen, ansonsten ist mein Schreibtisch leer. Die Tour mache ich mit dem Radl, man möchte ja an die Luft und der Weg zur Arbeit und Sport ist erlaubt, also kann man das ja gut verbinden. Die Dame freut sich über den Besuch, auch wenn ich nicht über die Schwelle gehe und natürlich Abstand wahre. Ein bisschen Plaudern ist sicher erlaubt. Dann radle ich zum Bauernmarkt und kaufe Obst und Gemüse für’s Wochenende. Diese Woche halten die Leute brav Abstand.

Ich werde langsam zur Küchenfee. Mittags gibt es gebratenen Saibling mit frischen gebratenen Zwiebelringen, dazu gemischten Blattsalat mit Karotten, Tomaten und Gurken. Abends backe ich ein australisches Bananenbrot für’s Wochenende. So kenn ich mich gar nicht.

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Bevor ich meine hausfraulichen Fähigkeiten raushaue, gehe ich noch ein Stündchen radeln, diesmal über Möschenfeld durch den Wald nach Harthausen und zurück. Bei dem herrlichen Sonnenschein ein Genuss.

Nachmittags pflege ich meine soziale Beziehung zu meiner Schwester und sitze zwei Stunden mit dem Telefon in der Hand auf der Terrasse. Es könnte schlimmer sein.

 

 

Ausgangsbeschränkt, 1. Teil

9.-15. 3.2020

Die erste Woche nach dem Skiurlaub lief eigentlich ganz gut. Mein Alltag hat sich wenig verändert. Ich habe beschlossen, nur noch telefonische Beratungen zu machen, es läuft ganz gut. 90% der Leute akzeptieren das klaglos. Die Telefonkonferenzen klappen reibungslos, wenn es auch natürlich schöner ist, den Leuten gegenüber zu sitzen. Nachdem ich aber nicht weiß, ob ich mich vielleicht in Livigno angesteckt habe, möchte ich keinen gefährden. Meine Akten kann ich ja allein bearbeiten.

Am Wochenende ist alles draußen. Die Leute rennen in die Parks und in den Wald, die Straßen in die Berge sind überfüllt, einige Skigebiete noch offen. Italien hat schon dichtgemacht, Österreich schließt die Grenzen und lässt die Leute nur noch im Transit durch das Land. Die Skigebiete schließen. Ich bin froh, im Außenbezirk in einem Haus mit Garten zu wohnen und nicht mitten in der Stadt in einer Wohnung. So kann ich immer raus. Hinter unserem Haus beginnt auch bald der Forst, so dass Spaziergänge ohne Menschenmassen möglich sind. Die Situation ist beunruhigend, aber noch nicht desolat.

16.-22.3.2020 

Am Mittwoch, den 18.3. spricht die Bundeskanzlerin, vor allem den Leuten ins Gewissen, dass sie sich auf eine längere Zeit einstellen müssen, in der die Dinge anders laufen. Es ist absehbar, dass  Ausgangsverbote kommen. Noch appelliert die Politik an die Vernunft der Leute; dass das schiefgeht, hat man letztes Wochenende aber deutlich gesehen.

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Alle Gerichtstermine sind abgesagt bis Ende April. Ich hänge den ganzen Tag am Telefon und rede mit den Leuten, zwischendurch ackere ich mich durch meine Post, berechne Unterhalt, Zugewinn, Erbschaften und alles andere und wundere mich über die Ratschläge, wie man die Zeit daheim rumkriegen soll. Ich sitze jedenfalls bis spät im Büro und bin daheim nicht mehr im Stande, kreative Spiele zu machen. Der Anwaltverein teilt uns mit, wir seien systemrelevant. Die Anwaltskammer teilt uns mit, ab einer Woche Schließung der Kanzlei sind wir verpflichtet, für einen Vertreter zu sorgen. Aha. Und wo soll man den jetzt hernehmen, wenn alle krank oder in Quarantäne sind? Die anderen haben ja auch Kanzleien, in denen sie unabkömmlich sind. Theorie und Praxis.

Am Freitag teilt der Ministerpräsident mit, dass wir jetzt ausgangsbeschränkt sind. Nur noch zum Arzt, in die Arbeit oder zum Einkaufen soll man aus dem Haus. Und zum Spazierengehen oder Sport treiben an die frische Luft, aber nur allein oder mit Leuten, mit denen man im gleichen Haushalt lebt. Wie wollen sie das kontrollieren? Muss jetzt jeder eine Meldebescheinigung mit sich rumtragen? Ich verstehe den Sinn des Ganzen, also halte ich mich dran.

Am Wochenende wird verschärft kontrolliert. Offenbar halten sich immer noch nicht alle an die Regeln. Die Polizei muss immer wieder Parties auflösen und Grillfeste beenden. Nebenbei sterben in Italien die Menschen zu hunderten jeden Tag. Wieso kapieren die Leute nicht, dass es nicht um sie persönlich geht, sondern darum, unser Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren?

23.-29.3.

Ich glaube, ich habe  noch nie soviel telefoniert wie in der letzten Woche. Beruflich und privat, irgendwie muss man ja mit den Leuten in Kontakt bleiben. Mit den Kindern haben wir „Houseparty“, eine App, mit der man gemeinsam Spiele spielen kann. Mich belastet die Ausgangssperre weniger, ich bin ja tagsüber nicht daheim und kann in der Gemeinde und im Wald rumradeln oder laufen und Podcasts hören. Was eher ungewohnt ist: Die Restaurants haben geschlossen, ich muss also kochen. Jeden Tag. Ich entdecke neue Talente und koche immer gleich für zwei Tage vor. Geht auch.

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Am Sonntag ist meine Tiefkühltruhe voll. Jetzt muß ich mir entweder noch eine zulegen oder das eingefrorene Zeug essen. Zum Glück hat sich ein örtliches Restaurant was einfallen lassen: Ein Drive In mit regionalen Produkten. Sie erweitern ihr Sortiment praktisch stündlich, von Weißwurst-Paket bis Nudeln und Brot, Marmelade, Honig, Gemüsekiste bis Schmalznudeln. Ab Montag gibt’s jeden Tag ein Mittagessen zum Mitnehmen. (www.landlust.de) Die Infrastruktur kommt langsam in Gang.

Eigentlich arbeite ich schon wieder die ganze Zeit. Wäsche waschen, kochen, ein bis zwei Stunden Sport pro Tag, Buchhaltung, das Wochenende ist ausgefüllt. Mir fehlen langsam die Leute. Heute war Matthias da, wir haben ein Weißwurst-Packerl von der Landlust gefrühstückt, mit Brezen, süßem Senf und Weißbier. Um zehn Uhr morgens, also eigentlich neun, heute Nacht wurde ja die Zeit umgestellt. Geht. Auch wenn die Norddeutschen das vielleicht nicht verstehen. Wahrscheinlich verhaften sie uns jetzt, weil wir nicht zusammen leben und trotzdem….Aber keine Sorge: Wir sind bei 10 Grad Celsius im Garten gesessen, in Daunenjacken, mit einem langen Tisch dazwischen und einer Feuerschale, die uns ein bisschen gewärmt hat. Als das Holz heruntergebrannt war, ist Matthias heimgegangen, zu kalt und reingehen kam nicht in Frage.