Ausgangsbeschränkt, Teil 4

6.4.20 Montag

Meine Sekretärin ist im Urlaub und ich nicht. Das bedeutet, ich muss alles allein machen. Emails abrufen, ausdrucken, speichern, Post scannen, Akten raussuchen, Post dazu, telefonieren und dann: das Zeug bearbeiten. Man lernt enorm dazu. Ich renne dauernd zwischen den beiden Arbeitsplätzen hin und her, weil manche Sachen auf meinem PC nicht funktionieren. Das mit dem Scannen verstehe ich ja noch, wir haben nur einen Scanner und der steht im Sekretariat, aber wieso ich auf meinem Arbeitsplatz keine Emails den Akten zuordnen kann? Rätsel der Software, wahrscheinlich fehlt irgendwo ein Häkchen. Ich hab aber jetzt weder Zeit für Warteschleifen in der Hotline noch zum Selbersuchen. Also renne ich hin und her.

Abends Netflix, „Haus des Geldes“, 4. Staffel, die letzten vier Folgen (ja, ich weiß, 4!!). Man muss sich mal ablenken von dem Elend, da muss nicht alles so anspruchsvoll sein. In der SZ empfehlen sie, man sollte mal „Die Pest“ von Camus oder „Der Zauberberg“ von Thomas Mann lesen, thematisch hochaktuell. Na mir gehst.

7.4. Dienstag

Nettes Gespräch mit einer neuen (!) Mandantin, natürlich am Telefon. Ich löse ihr Problem, sie sagt mir, wie toll sie mich findet und dass ich sehr nett sei. Auch mal schön, wenn nicht von mir erwartet wird, der schärfste Hund auf dem Anwaltsmarkt zu sein.

Nachmittags hole ich mir das erste Eis der Saison in der Eisdiele nebenan, der Eismann freut sich und sagt: „prego, bellissima“, die Sonne strahlt, der Himmel dunkelblau. Der Tag gibt sein Bestes.  Bei Traumwetter radle ich eine Stunde durch den Wald und bei Sonnenuntergang über die Felder.

Abends scheint der Super-Vollmond, heute ist er näher als sonst, nur 365.000 km weit weg, nicht 400.000. Toller Blick aus meinem Schlafzimmer!

 

8.4. Mittwoch

Die Tage ähneln sich gewaltig. Ich schaue  beim Eismann vorbei, er erinnert sich „Waren Sie nicht gestern um die gleiche Zeit da?“ Nein, gestern war’s früher, dafür bin heute schon mit der Arbeit fertig.

9.4. Donnerstag

Morgen ist Karfreitag, ich möchte mittags alles fertig haben, denn ich muss ja noch einkaufen. Das klappt gut, nur die Post von heute ist noch nicht da, die hole ich dann morgen raus. Selbst und ständig.

Fee meldet sich, wir telefonieren gemütlich miteinander. Ich freue mich sehr, von ihr zu hören, wir sehen uns viel zu selten. Sie erzählt, dass sie schon 25 Jahre in Bayern ist und jetzt eigentlich eine Party machen wollte mit den alten Freundinnen, die sie von Anfang an begleitet haben. Tja. Telefonieren muss reichen. Bitter, aber wir holen das nach.

Eigentlich wollte sie wissen, wie das jetzt ist, wenn eine Firma die Miete nicht mehr bezahlt. Müssen die dann Verzugszinsen zahlen, wenn sie nachträglich leisten? Ich meine schon, aber sicher bin ich auch nicht. Wir prüfen das und etwas später stellen wir fest: ja. Sie müssen. Sie dürfen die Miete aussetzen, deshalb nicht gekündigt werden, aber da es kein Leistungsverweigerungsrecht ist, sondern nur ein Recht auf Stundung, fallen ganz normal Verzugszinsen an. Das ist für die Vermieter derzeit die beste Geldanlage, die sie haben können, die Zinsen liegen bei etwas über 4% im privaten Bereich, im gewerblichen noch deutlich höher. Andererseits ist es ja auch für private Vermieter kein Spaß. Viele Privatleute und kleine Selbstständige haben sich als Alterssicherung eine kleine Eigentumswohnung auf Kredit gekauft, die Raten sind durch die Miete finanziert. Wenn die jetzt wegfällt und der Vermieter auf Kurzarbeit oder arbeitslos ist, ist das für den auch ein Desaster, denn die Banken werden nicht lange warten mit der Zwangsversteigerung. Da helfen ihm die paar Zinsen dann auch nichts mehr. Es ist ein Elend, egal von welcher Perspektive aus man es sieht.

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Immernochausgangsbeschränkt, Teil 3

Wochenende, 4. und 5. April 2020

Bissl öd wird’s langsam schon. Am Samstag wache ich um 7 Uhr auf, völlig ungewöhnlich für mich an Wochenenden, aber ich gehe ja schon relativ früh ins Bett, weil abends einfach nichts los ist. Was macht man an einem Samstag um diese Uhrzeit? Der Tag liegt lang und ereignislos vor mir. Ich surfe ein bisschen auf Facebook rum, na ja, auch nicht gerade das, was mich begeistert , dann beschließe ich, aufzustehen und Sport zu treiben. Das hebt die Laune.

Das Wetter ist schön, also schwinge ich mich auf’s Radl und fahre zu Freunden, denen ich ein Stück Bananenbrot an die Tür hänge. Dann radle ich durch Ingelsberg in den Ebersberger Forst, zuerst zum Forsthaus Diana, dann zum Forsthaus Hubertus, leider beide zur Zeit nicht bewirtschaftet, dann über Anzing und Purfing wieder zurück. Das sind dann so 35 km, also knapp 2 Stunden, ich hab’s nicht gemessen und keinen Tacho am Rad. Muss ich mir mal zulegen. Die Sonne strahlt, der Frühling bricht mit Gewalt aus und wir sollen alle daheim bleiben. Das hältst ja nicht aus.

Die Nachrichten sind allerdings fürchterlich. New York steht kurz vor dem Kollaps, die Welt ist ausgestorben, überall lockdown, von Europa über Asien bis Australien und Neuseeland, auch die Amis kriegen jetzt langsam mit, was los ist, nachdem ihr schwachsinniger Präsident seit Monaten versucht, die Gefahr runterzuspielen. Die Sterberaten in einigen Ländern sind monströs, die Krematorien überfüllt, Leichen müssen in Kühlwagen zwischengelagert werden. Und immer noch gibt es Leute, die der Meinung sind, es sei alles nicht so schlimm, nur Panikmache der Regierungen (wohlgemerkt: aller Regierungen der Welt, außer vielleicht Nordkorea). Die glauben wahrscheinlich auch, dass das Virus durch Außerirdische eingeschleust wurde, damit die die Weltherrschaft übernehmen können. Und träumen von Einhörnern, wenn sie abends ihren Aluhut abgenommen haben.

Es ist surreal. Bilder im Fernsehen von ausgestorbenen Städten auf der ganzen Welt, indische Polizisten, die die Leute in ihre Häuser zurückprügeln, verzweifelte Ärzte, die aussortieren müssen, wer an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird und wer stirbt. Völlig erschöpfte Krankenschwestern mit roten Striemen im Gesicht von den Atemmasken und diese Idioten, die immer noch glauben, das sei normal.

Ich finde ja auch, dass einige Maßnahmen übertrieben sind und dass man durchaus diskutieren muss, welche Grundrechtseingriffe noch in Ordnung und verhältnismäßig sind und welche zu weit gehen. Natürlich muss auch diskutiert werden, wie die Wirtschaft gestützt bzw. gerettet werden kann. Natürlich muss es Programme geben, die verhindern, dass alles den Bach runtergeht. Allerdings glaube ich, dass diese Diskussion sinnvoll wahrscheinlich erst nach diesem Irrsinn geführt werden kann. Das Chaos im Moment einer derart fundamentalen Krise ist sicher kein guter Ratgeber für Grundsatzdiskussionen. Im Augenblick geht es um das Leben von sehr, sehr vielen Menschen und  die Menschheit reagiert nur auf die täglich sich ändernden Voraussetzungen und jede Regierung macht halt, was sie für sinnvoll und wirksam hält aufgrund dessen, was ihr diverse Experten sagen. Was anderes können die ja auch gar nicht tun, keiner war schon in so einer Situation, also woher sollen sie es besser wissen. Und da muss ich sagen, ich bin froh, dass ich in Deutschland lebe mit einer Wissenschaftlerin als Bundeskanzlerin, die kühles Abwägen zum Regierungsprinzip gemacht hat und nicht in Amiland mit so einem mäßig intelligenten Typen, der alles nur schlimmer macht, indem er die ganze Krise als Wahlkampfprogramm begreift. Und dass wir hier ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle haben. Und dass es – hard to say – Leute wie Markus Söder gibt, die nicht lang rumtun, sondern die nötigen Entscheidungen treffen, auch wenn sie sich  vielleicht hinterher als zu rigoros herausstellen sollten. Auch dem halte ich zu Gute, dass er nur das tut, was er für im Augenblick nötig hält und nicht den freiheitlichen Rechtsstaat als solchen in Frage stellt. Ich war nie ein Freund der CSU oder gar Söders, aber im Augenblick ist er derjenige, der die anderen vor sich her treibt und das ist gut so. 

Am Sonntag gebe ich mir ein Work Out auf YouTube, sehr zu empfehlen alles was Franziska Beckmann da so macht. Yogalates zum Beispiel. Da weißt du, was du getan hast nachher. Hart aber effektiv. Dann radle ich zur Landlust, www.zurlandlust.de, bei Regio-Drive-In dort habe ich Mittagessen bestellt. Dann Mittagessen. Dann in der Sonne liegen und lesen. Dann helle Vorhänge aufhängen für den Sommer und Osterdeko rausstellen. Wenn ich anfange, zu dekorieren, muss schon sehr wenig los sein. Nachdem ich die Wäsche dann zusammengefaltet und in die Schränke gepackt habe, auf der Terrasse sitzen und schreiben. Dann Netflix oder so. Seufz. Mir fehlen die Leute. Mir fehlen meine Kinder. Und nächste Woche ist Ostern und wir hocken immer noch allein da.

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Meanwhile in Baldham…

Ausgangsbeschränkt, 2.Teil

31.3.2020

Ein bißchen übertreiben sie’s dann doch. Man soll ja das Haus nur verlassen, wenn man zum Arzt, in die Arbeit, zum Einkaufen oder zum Sporttreiben will. Längeres Sitzen auf Parkbänken: verboten. Warum, verstehe ich nicht so ganz. Man kann doch mit seinem Ehepartner oder Kind ein bißchen in der Sonne sitzen, auch eine halbe Stunde oder so, und das Wetter genießen. Es kommt doch nicht auf die Zeit an, sondern auf Kontakte, dachte ich. Wieso soll man da nicht sitzen dürfen?

 

Vor meinem Bürofenster sitzt eine ältere Frau auf einer Parkbank, raucht eine Zigarette und trinkt einen Coffee to go. Im Erdgeschoß ist eine Bäckerei (also ein systemrelevanter  Betrieb).  Wäre mir erstmal nicht aufgefallen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der lebensgefährlichen Ansteckung, sie war allein. Weit und breit kein anderer Mensch zu sehen. Bis ein Polizeiauto vorfuhr. Zwei Sheriffs steigen aus, gehen auf sie zu und reden sie an. Sie gestikuliert und schimpft, offenbar wollen die Polizisten sie von der Parkbank weghaben, warum auch immer. Nach einiger Diskussion verziehen sie sich Richtung S-Bahnsteig. Die Frau setzt sich wieder und raucht weiter. Zwei Minuten später kommen die Polizisten wieder. Die Frau schaut kurz, wirft die Zigarette weg und entfernt sich mit ihrem Kaffee. Warum sie den jetzt da nicht mehr trinken durfte, ich verstehe es nicht. Das ist doch unverhältnismäßig und schießt über das Ziel hinaus. Bei allem Verständnis für die derzeit wohl notwendigen Kontaktverbote, aber sowas geht für mich zu weit. Sie wollte da doch nur sitzen, hat keinen gefährdet und nur ein bisschen die Sonne genossen!

1.4.

Die Situation fühlt sich immer noch total surreal an. Man denkt irgendwas, ach, ich könnte mir doch dies und das besorgen, hier oder da hinfahren, den oder jenen besuchen, eine Millisekunde später fällt einem ein, ach ne, geht ja nicht, ist ja alles zu. Von Klopapier ganz zu schweigen. Ein paar Konzerne haben angekündigt, ab sofort keine Miete mehr zu bezahlen, weil es neuerdings ein Gesetz gibt, dass während der Krise Mietzahlungen ausgesetzt werden dürfen, ohne dass Kündigung droht. Das war allerdings eher für kleine Läden gedacht, nicht für Großkonzerne. Zwei Stunden später wurden sie dermaßen überrollt von Boykottaufrufen, dass sie jetzt schon wieder zurückrudern. Na also, geht doch.

Ich telefoniere andauernd. Interessanterweise ändert sich gerade die Stimmung unter den Anwälten. Wir plaudern freundlich miteinander, wenn einer eine Fristverlängerung braucht, ist das derzeit überhaupt kein Problem, weil die Rechtspflege sowieso stillsteht und man wenig erledigt kriegt. Die Gerichte arbeiten nur bedingt, Verhandlungen finden nicht statt, bis Ende April ist alles abgesagt. Neue Mandate kommen kaum rein, dafür haben die bestehenden Mandanten offenbar Zeit, sich um ihre Fälle zu kümmern und beschäftigen uns jetzt um so mehr.

2. 4.

Super Wetter, ich radle ins Büro. Leichtsinnigerweise habe ich meiner Büroleiterin ab morgen bis nach Ostern Urlaub gegeben. Wir haben vor, heute alles abzuarbeiten, damit wir beide morgen frei haben und ich nächste Woche trotzdem nicht absaufe. Eigentlich wäre ich gern heute mittag schon fertig, das Wetter schreit nach Radltour. Netter Plan, leider nicht mit der Realität vereinbar. Mittagessen fällt aus, ein Sandwich tut’s auch.

Ein neuer Mandant will unbedingt mit mir reden, bevor ich einen Telefontermin mit ihm mache. Wieso? Er will checken, ob ich die Richtige für ihn bin. Es gäbe ja so viele Anwälte und was unterscheidet mich von all den anderen. Was spräche dafür, dass er ausgerechnet mich engagieren soll.  Tja, da kann ich ihm auch nicht helfen. Ob wir uns sympathisch sind, können wir schwer telefonisch klären. Und ob ich besser für sein spezielles Problem bin als all die anderen, weiß ich auch nicht. Ich zucke virtuell die Schultern, die Entscheidung nehme ich ihm nicht ab. Anscheinend findet er es gut, dass ich nicht versuche, mich besonders toll darzustellen, sondern ihn relativ schnell verabschiede. Eine Stunde später macht er einen Termin aus.

Der ganze schöne Sonnentag: Dahin!

3.4.

Freitag. Das nehme ich jetzt mal wörtlich. Es klappt fast. Ich muss nur einer über  90jährigen sehr netten Mandantin ihre Unterlagen zurückbringen, ansonsten ist mein Schreibtisch leer. Die Tour mache ich mit dem Radl, man möchte ja an die Luft und der Weg zur Arbeit und Sport ist erlaubt, also kann man das ja gut verbinden. Die Dame freut sich über den Besuch, auch wenn ich nicht über die Schwelle gehe und natürlich Abstand wahre. Ein bisschen Plaudern ist sicher erlaubt. Dann radle ich zum Bauernmarkt und kaufe Obst und Gemüse für’s Wochenende. Diese Woche halten die Leute brav Abstand.

Ich werde langsam zur Küchenfee. Mittags gibt es gebratenen Saibling mit frischen gebratenen Zwiebelringen, dazu gemischten Blattsalat mit Karotten, Tomaten und Gurken. Abends backe ich ein australisches Bananenbrot für’s Wochenende. So kenn ich mich gar nicht.

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Bevor ich meine hausfraulichen Fähigkeiten raushaue, gehe ich noch ein Stündchen radeln, diesmal über Möschenfeld durch den Wald nach Harthausen und zurück. Bei dem herrlichen Sonnenschein ein Genuss.

Nachmittags pflege ich meine soziale Beziehung zu meiner Schwester und sitze zwei Stunden mit dem Telefon in der Hand auf der Terrasse. Es könnte schlimmer sein.