Der Berg, die Kuh, der Mensch

4. Juli 2020

Wir stehen um 5.30 Uhr auf, nicht eben meine Zeit, aber für’s seelische Wohl kann man das schon mal machen. Ziel ist eine Bergwiese mit angrenzender Kuhherde und Blick auf die Schlierseer Bergwelt. Geplant war, den Sonnenaufgang barfuss im Gras zu erleben, das Gras zu spüren und mit allen Sinnen den Morgen wahrzunehmen. Guter Plan für Juli, leider ist es eisig wie im November, der Nebel hängt in den Bergen und es schaut nach Regen aus. Michaela ist allerdings der Meinung, dass das nichts macht, eine halbe Stunde barfuß laufen hat noch keinem geschadet und das kann man auch im Schnee machen, ohne sich zu erkälten. Also gut.

Die Kühe starren uns neugierig an, als wir auf der Wiese herumlaufen und versuchen, Steine und Disteln zu umgehen und uns auf das Gefühl unter den Füßen zu konzentrieren, dabei tief die reine Bergluft zu atmen und den Blick in die Natur schweifen zu lassen. Der Sonnenaufgang findet hinter den Wolken statt, es wird langsam heller. Nach einer halben Stunde gehen wir in den Meditationsraum und sitzen dort noch eine Weile bis zum Frühstück. Weil das Wetter so schlecht ist, verlegen wir die Meditationseinheit vom Nachmittag vor, so dass die geplante Bergwanderung dann nach dem Essen stattfindet, als der Regen nachläßt.

Wir meditieren zu einer Übung, die uns dazu bringen soll, Unangenehmes loszulassen. Wir stellen uns einen Wasserfall vor, der über uns prasselt und alles abwäscht, was uns belastet. Ich bin gut dabei, aber meine Füße werden zu Klumpen und meine Hüfte schmerzt. Die Übung dauert sehr lang, es ist anstrengend, aber interessant, was so an Empfindungen und Gedanken hochkommt, wenn man sich zwingt, dabei zu bleiben.

Nachmittags wandern wir zur Bodenschneidhütte, es hat aufgehört zu regnen, wenn auch der Pfad glitschig und steil ist. Der Rückweg durch den Wald ist schwierig, die überall herausstehenden Wurzeln sind nass und es besteht die Gefahr, auszurutschen. Trotzdem genießen wir den Weg durch die Bergwelt.

 

5. Juli 2020

Heute dürfen wir bis 6 Uhr schlafen, wir gehen erst eine halbe Stunde später raus. Wir stellen uns auf die Wiese und versuchen, uns wie ein Berg zu fühlen. Jahrtausende stehen wir da und beobachten still die Geschehnisse, ohne sie zu bewerten. Das klappt ungefähr fünf Minuten. Dann kommen die Kuhglocken näher. Und näher. Wir hören die Kühe atmen. Spätestens dann drehen sich doch alle um und wir stellen fest, dass die Kühe um uns herum stehen und uns neugierig anstarren. Eine fasst sich ein Herz und schnuppert an Patricia. Die streichelt die Kuh, die Kuh freut sich und Patricia auch. Die anderen Kühe beobachten, ohne zu bewerten, die Vorgänge. Es nieselt. Der Berg steht da und ist Berg. Wir amüsieren uns, sind eher sehr menschlich am Kichern als am Berg-sein und gehen dann mal frühstücken.

Unser Quoten-Mann stellt fest, dass Meditierende ganz anders sind, als er sich vorgestellt hat. Er dachte, man muss irgendwie ‚heilig‘ sein, also wohl  etwas weltfremd und tief spirituell. Na ja, die Vorstellung hat er abgelegt. Bei diesem Seminar sind lauter Power-Frauen, die voll im Leben stehen und keine Spur von abgehoben. Die wollen eher einem Burn-Out vorbeugen und zur Ruhe kommen als schwebende Feen sein, die fern der realen Welt existieren.

Bei unserer letzten Meditationseinheit denken wir über das Thema der am Vortag gezogenen persönlichen Karten nach. Glück. Was ist Glück? Was ist mir wirklich wichtig? Wann fühle ich mich lebendig? Was gibt dem Leben Sinn? Die alten Fragen der Menschheit.

Dann steigen wir auf den Gipfel der Bodenschneid. Der Blick von dort über den Tegernsee ist spektakulär und die Sonne kommt raus.

Der Rückweg führt über den Grat des Berges zur Unteren Firstalm. Da gibt’s Rhabarber-Kaiserschmarrn mit Kürbiskernöleis. Ein würdiger Ausklang.

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Bergmeditationen am Spitzing

3. Juli 2020

Michaela lädt ein zu einem Meditations-Seminar. Acht Frauen und ein Mann kommen, dazu noch Michaelas Mann Klaus, der aber nicht mitmeditiert, sondern uns durch die Berge führt. Am Spitzingsee führt ein Weg zur Oberen Firstalm, gemeinsam wollen wir aufsteigen und dort ein Wochenende der Meditation und des Naturgenusses verbringen.

Am Parkplatz Spitzingsattel findet der mega-unfreundliche Parkwächter, wir stehen zu weit auseinander. Alle müssen ihre Autos umparken, näher zusammen, so dass man gerade noch aussteigen kann. Bei manchen braucht es mehrere Anläufe, bis er zufrieden ist. Da hilft nur im Geist ‚OOOMMM‘ zu singen, aber das wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht, das Seminar fängt ja erst heute Abend an. Also versuchen wir erfolglos zu diskutieren und parken dann resigniert um, so dass er einen halben Parkplatz auf der Fläche gewinnt.

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Unser Gepäck, insbesondere die Yogamatten, dürfen wir in einen Container stellen, der zur Hütte hinaufgefahren wird, so dass wir nur mit einem kleinen Rucksack beladen den Aufstieg angehen. Die Bergtour dauert etwa 40 Minuten, es hält sich also in Grenzen mit der Anstrengung. Die Belohnung wartet oben: Die Alm ist frisch renoviert, wir bekommen alle moderne Zimmer mit nagelneuer Inneneinrichtung und schönen Bädern, Blick auf Wiesen, Felder und Berge und im Hintergrund läuten die Kuhglocken. Es ist ein Traum.

Bevor wir allerdings die Zimmer beziehen, gibt es rustikale Kost, riesige Portionen deftiger Hüttenküche. Meine Schwammerl mit Knödel reichen locker für den Rest des Tages, wenn nicht länger. Bergluft macht allerdings hungrig.

Nach dem Essen eine erste Einheit Meditation. Michaela unterrichtet uns vorab in der Theorie, erklärt Sinn und Zweck der Übungen und stellt uns das Seminar vor. Meditation ist eine Methode, den Alltag für eine kurze Zeit hinter sich zu lassen, sich auf das eigene Wohlbefinden zu konzentrieren und dabei zu lernen, dem Unterbewusstsein zu lauschen. Um das zu erreichen, braucht es natürlich viel Übung. Ziele, die man keinesfalls in einem Wochenendseminar erreichen kann. Sie wird uns also verschiedene Meditationstechniken zeigen, was jeder von uns dann für sich angenehm und sinnvoll findet, muss er selbst herausfinden.

Ich habe ja viel Übung. Regelmäßiges Meditieren ist mir nichts Neues, wenn ich auch eher bescheidene Erfolge erziele. Das wiederum ist auch nicht so schlimm, es geht nicht um Leistungssport, sondern um innere Einkehr und zur Ruhe kommen. Nach einiger Zeit fühlt sich die tägliche Viertelstunde wie ein Stück Urlaub an, vor allem, wenn man den ganzen Tag einen stressigen Job oder eine hektische Familie hat. Was andere so erzählen über ihre tollen Erlebnisse während der Meditationen kann ich leider nicht nachvollziehen, aber ich mag den Zustand, der an die Minuten vor dem Einschlafen erinnert, nicht schlafend, aber auch nicht wach, und immer bemüht, Körper und Geist zur Ruhe kommen zu lassen.

Zunächst versuchen wir also, unseren Geist zu beobachten und Gedanken, die auftauchen, auf eine Wolke zu setzen und wegzuschieben. Dabei tauchen unwillkürlich ganz viele verschiedene Überlegungen und Bilder auf, deren Bedeutungslosigkeit man dem eigenen Hirn erst erklären muss: „Lieber Geist, es ist schön, dass du mir diese Gedanken schickst, um mich von der Tatenlosigkeit abzuhalten, aber jetzt gerade passt es nicht. Also lass mich jetzt mal eine halbe Stunde in Ruhe, danach darfst du gern wieder alles ansprechen, was dir einfällt. Deal?“ Tja, der Geist ist eher unwillig und hält sich allenfalls ein paar Sekunden an den Deal. Aber das wird mit der Zeit besser, nach ein paar Monaten geht es schon um mehr Sekunden. Zum Dalai Lama ist es noch ein weiter Weg.

Nach dem Kaffee die nächste  Übung:

Eine geführte Meditation, bei der Michaela uns in eine Geschichte eintauchen lässt, die uns an die Grenze des Unbewussten führt, wenn nicht darüber hinaus. Einige haben Schwierigkeiten mit dem langen Sitzen im Schneidersitz und legen sich auf die Matte. Von denen gehen ein paar über die Grenze, was man am leichten Schnarchen feststellen kann. Macht auch nichts, die sind halt richtig entspannt. Mir schlafen hauptsächlich die Füße ein, was ich allerdings auch erst merke, als sie uns wieder zurückholt in den Wachzustand. Dummerweise habe ich mein Meditationskissen daheim vergessen und so lange auf einem Handtuch zu sitzen ist doch recht anstrengend.

Zum Abschluss darf jeder eine Karte ziehen, die ein Thema vorgibt, mit dem man sich während des Wochenendes beschäftigen soll. Meine heißt: ‚Glück. Was ist dir wirklich, wirklich wichtig? Finde es heraus und wirf dich mit aller Zärtlichkeit und Leidenschaft darauf!‘ Na denn!

Dann gibt’s Abendessen, wieder sehr bodenständig und viel zu viel, das Leichteste, was zu finden ist, ist Backhendlsalat. Vegetarier haben hier wenig Chancen, man könnte vielleicht Backhendlsalat ohne Backhendl bestellen oder Kartoffelpuffer, auch nicht gerade Diätkost.

Die abendliche Lichtmeditation ist wunderschön. Jeder hat eine Kerze vor sich, die er/sie beobachtet und dabei versucht man, sich auf dieses Licht zu konzentrieren. Mit der Zeit verschwimmen die Konturen, das Gesichtsfeld engt sich ein und die Gedanken kommen zur Ruhe. Perfekt vor dem Schlafengehen.

 

Meditationen

22.8.

Wer in Ubud nicht zum Yoga geht, war nicht hier. Aus aller Welt kommen die Yogis, um in der sanften Stimmung Balis ihren Körper zu stählen, zu dehnen und ihren Geist zur Ruhe zu bringen. An jeder Ecke gibt es Studios, die für alle zugängliche Stunden anbieten, größere und kleinere, man muss sich nur anmelden.  Morgens mache ich mich auf den Weg zum Yoga Barn, eines der größeren Zentren ohne ideologische Richtung, es gibt Stunden für jeden Geschmack.  Ich melde mich an zum Yin-Yoga, Dehnung durch längeres Halten der Stellungen, weniger Bewegung als Schmerz, das Beste, was man für seine Beweglichkeit und Faszien tun kann. Dann spaziere ich ein wenig durch die Stadt und kehre zur  Nachmittagsmeditation zurück.

Ich lasse mich auf einer der Matten nieder und warte. Ein älterer Mann aus Belgien setzt sich neben mich. Dann turnt er neben mir rum, verrenkt sich nach hier und da und ich denke noch, der ist ein bisschen hyperaktiv, der Gute. Der  Guru erscheint und schaut auch aus wie ein solcher, lange Haare, langer Bart, erleuchtetes Lächeln. Er leitet eine Atemmeditation an, immer einatmen, ausatmen in einem vorgegebenen Rhythmus, letztendlich hyperventilieren wir dabei, was das Zeug hält. Dazu müssen wir uns alle an den Händen halten und die Vorgabe ist: Egal, was passiert, keiner verlässt den Kreis. Wer Hilfe braucht, kann Bescheid sagen.

Ich nehme die Hand des Belgiers und der jungen Frau auf der anderen Seite. Einatmen. Ausatmen. Der Belgier kann sich nicht still halten. Er klammert sich an meiner Hand fest. Er rutscht unsere Hände von seinem auf meinen Oberschenkel. Und zurück. Er hebt den Arm, meinen mit. Er drückt und quetscht. Ich werde immer steifer, sowas kann ich gar nicht. Ich signalisiere, dass er still halten soll. Schafft er nicht. Er fängt an zu stöhnen und zu ächzen. Ich denke: „Hol dir doch einen runter, wenn du allein bist!“ Ich fühle mich vergewaltigt und kann mich nicht konzentrieren.  Ich denke: „Lern draus. Es ist eine Situation, mit der du nicht umgehen kannst. Also lerne, warum. Er macht nichts Schlimmes.“ Es hilft nicht. Ich verkrampfe zunehmend. Ich zähle schon die Atemsequenzen, damit ich abschätzen kann, wie lange das noch dauert.  Als es endlich vorbei ist und der Guru sagt, wir können unsere Hände jetzt loslassen, will er mich weiter festhalten. Ich entreiße ihm meine Hand geradezu.  Danach fragt mich der Typ, wie ich es gefunden habe. Ich sage ihm die Wahrheit. Er meint, ich hätte wohl vorher zu viel mit dem Handy gespielt oder könne nicht meditieren. Ich sage, nein. Ich bin geübt. Es war mir zuviel Bewegung, zuviel Berührung. Ich mag das nicht. Das war definitiv zu viel für einen Fremden. Ich lasse ihn frustriert zurück. Soll er frustriert sein, mir hat er den Nachmittag auch verdorben.

In der Caféteria rede ich mit einem holländischen Paar, er erzählt, dass er am Tag vorher bei dem Typ gesessen hat und es das Gleiche war. Der meint das nicht übergriffig, der macht das immer. Der Holländer hat sich heute ans andere Ende des Raums gesetzt, da besteht keine Gefahr, dass der sich wieder zu ihm bewegt.

Abends lasse ich mich von einer tibetischen Gong-Meditation  in andere Welten tragen. Ohne störende Nachbarn.

23.8.

Am nächsten Morgen beschließe ich, eine Wanderung zu machen. Der Campuhan Ridge Trail ist wunderschön. Er beginnt mitten in der Stadt, man mag es kaum glauben, dass   innerhalb weniger Minuten der Trubel Ubuds verschwindet und durch Reisfelder und Urwaldlandschaften ersetzt wird.

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Nach einer halben Stunde komme ich im Karsa-Café an, von dem aus man einen bezaubernden Blick auf Reisfelder und ein kleines Dorf hat. Natürlich lasse ich mich dort nieder und trinke einen frisch gepressten Fruchtsaft. Dabei fällt mir ein Flyer auf, der auf das dazu gehörige Spa verweist. Erfreulicher Weise haben sie am 26. noch einen Termin offen, so dass ich eine ausführliche Bali-Massage buchen kann.

Auf dem Rückweg komme ich an einem Tempel vorbei, wo gerade eine Zeremonie gehalten wird. Ich besorge mir einen Sarong, gehe rein,  schaue den mir unverständlichen Ritualen  zu und fühle mich ganz eins mit mir selbst und der Situation.