Meditationen

22.8.

Wer in Ubud nicht zum Yoga geht, war nicht hier. Aus aller Welt kommen die Yogis, um in der sanften Stimmung Balis ihren Körper zu stählen, zu dehnen und ihren Geist zur Ruhe zu bringen. An jeder Ecke gibt es Studios, die für alle zugängliche Stunden anbieten, größere und kleinere, man muss sich nur anmelden.  Morgens mache ich mich auf den Weg zum Yoga Barn, eines der größeren Zentren ohne ideologische Richtung, es gibt Stunden für jeden Geschmack.  Ich melde mich an zum Yin-Yoga, Dehnung durch längeres Halten der Stellungen, weniger Bewegung als Schmerz, das Beste, was man für seine Beweglichkeit und Faszien tun kann. Dann spaziere ich ein wenig durch die Stadt und kehre zur  Nachmittagsmeditation zurück.

Ich lasse mich auf einer der Matten nieder und warte. Ein älterer Mann aus Belgien setzt sich neben mich. Dann turnt er neben mir rum, verrenkt sich nach hier und da und ich denke noch, der ist ein bisschen hyperaktiv, der Gute. Der  Guru erscheint und schaut auch aus wie ein solcher, lange Haare, langer Bart, erleuchtetes Lächeln. Er leitet eine Atemmeditation an, immer einatmen, ausatmen in einem vorgegebenen Rhythmus, letztendlich hyperventilieren wir dabei, was das Zeug hält. Dazu müssen wir uns alle an den Händen halten und die Vorgabe ist: Egal, was passiert, keiner verlässt den Kreis. Wer Hilfe braucht, kann Bescheid sagen.

Ich nehme die Hand des Belgiers und der jungen Frau auf der anderen Seite. Einatmen. Ausatmen. Der Belgier kann sich nicht still halten. Er klammert sich an meiner Hand fest. Er rutscht unsere Hände von seinem auf meinen Oberschenkel. Und zurück. Er hebt den Arm, meinen mit. Er drückt und quetscht. Ich werde immer steifer, sowas kann ich gar nicht. Ich signalisiere, dass er still halten soll. Schafft er nicht. Er fängt an zu stöhnen und zu ächzen. Ich denke: „Hol dir doch einen runter, wenn du allein bist!“ Ich fühle mich vergewaltigt und kann mich nicht konzentrieren.  Ich denke: „Lern draus. Es ist eine Situation, mit der du nicht umgehen kannst. Also lerne, warum. Er macht nichts Schlimmes.“ Es hilft nicht. Ich verkrampfe zunehmend. Ich zähle schon die Atemsequenzen, damit ich abschätzen kann, wie lange das noch dauert.  Als es endlich vorbei ist und der Guru sagt, wir können unsere Hände jetzt loslassen, will er mich weiter festhalten. Ich entreiße ihm meine Hand geradezu.  Danach fragt mich der Typ, wie ich es gefunden habe. Ich sage ihm die Wahrheit. Er meint, ich hätte wohl vorher zu viel mit dem Handy gespielt oder könne nicht meditieren. Ich sage, nein. Ich bin geübt. Es war mir zuviel Bewegung, zuviel Berührung. Ich mag das nicht. Das war definitiv zu viel für einen Fremden. Ich lasse ihn frustriert zurück. Soll er frustriert sein, mir hat er den Nachmittag auch verdorben.

In der Caféteria rede ich mit einem holländischen Paar, er erzählt, dass er am Tag vorher bei dem Typ gesessen hat und es das Gleiche war. Der meint das nicht übergriffig, der macht das immer. Der Holländer hat sich heute ans andere Ende des Raums gesetzt, da besteht keine Gefahr, dass der sich wieder zu ihm bewegt.

Abends lasse ich mich von einer tibetischen Gong-Meditation  in andere Welten tragen. Ohne störende Nachbarn.

23.8.

Am nächsten Morgen beschließe ich, eine Wanderung zu machen. Der Campuhan Ridge Trail ist wunderschön. Er beginnt mitten in der Stadt, man mag es kaum glauben, dass   innerhalb weniger Minuten der Trubel Ubuds verschwindet und durch Reisfelder und Urwaldlandschaften ersetzt wird.

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Nach einer halben Stunde komme ich im Karsa-Café an, von dem aus man einen bezaubernden Blick auf Reisfelder und ein kleines Dorf hat. Natürlich lasse ich mich dort nieder und trinke einen frisch gepressten Fruchtsaft. Dabei fällt mir ein Flyer auf, der auf das dazu gehörige Spa verweist. Erfreulicher Weise haben sie am 26. noch einen Termin offen, so dass ich eine ausführliche Bali-Massage buchen kann.

Auf dem Rückweg komme ich an einem Tempel vorbei, wo gerade eine Zeremonie gehalten wird. Ich besorge mir einen Sarong, gehe rein,  schaue den mir unverständlichen Ritualen  zu und fühle mich ganz eins mit mir selbst und der Situation.

 

Circle of Goddesses

Samstag.

Morgenstund mit Patrick Broome, die eindeutig Gold im Mund hat.  Zwei Stunden totale Dehnung und Lockerung und das gleich nach dem Aufstehen. Jeder Muskel löst sich, Endorphine tun ihren Job. Fast so gut wie, na ihr wisst schon.

Anschließend eine nette Einheit auf dem Yoga-Board, ein unten konvexes Brett, das bei jeder Bewegung schaukelt. Gut fürs innere und äußere Gleichgewicht.
Dann reicht es erstmal mit Entspannung und Muskeltraining und wir laufen die drei km nach Herrsching. Dort wartet ganz weltlich ein anderes Strandcafé mit weniger übergriffigen Kellnern und besseren Eisbechern.


Nach der Rückkehr entscheiden wir uns für Kundalini Yoga, danach der Hit des Tages: Yoga Nidra. Eine Tiefenentspannung vom Feinsten. Zuerst love tunen wir mit einem Pfeiferl, das einen Ton (528 Hz) gibt, der angeblich …, ach was weiß ich, jedenfalls geht’s um den Weltfrieden und wir lieben uns alle und so. Na ja. Dann wird es interessant. Unter suggestiver Anleitung scannen wir durch den Körper und dann über  Jung’sche Archetypen ins Unterbewusstsein, bis wir an der Grenze von Circle of Goddesses weiterlesen

Namasté am Ammersee

Manchmal muss man nicht ins Weltall fliegen, um auf einem anderen Planeten zu landen, manchmal reicht ein Wochenendtrip an den Ammersee.

Karolin und ich haben uns zum Yoga Festival angemeldet. Bepackt mit Schlafsack, Isomatte, einem Haufen Jacken und Decken fahren wir hin. Der Plan ist, falls wir kein Zimmer kriegen, schlafen wir halt im Freien. Das Wetter ist schön, was spricht also dagegen.

Gegenüber vom Parkplatz in Herrsching sehen wir ein Gästehaus und beschließen, dort mal zu fragen. Das vergessen wir  gleich wieder und laufen durch den Ort bis zum See, wo angeblich Hotels zu finden sind. Nicht für uns. Wir finden bloß  Cafés und bestellen Cappuccinos und einen Eisbecher für mich, statt Mittagessen, das Karolin schon hatte. Der Kellner stellt das Eis zwischen uns. Ich ziehe es zu mir heran.  Hierüber regt der Kellner sich lautstark auf („ich stelle Eis zwischen Frau, Frau will alleine, gibt Freundin nichts! Gibt sowas! Frau will nicht abgeben! Freundin kriegt nix!“), alle Leute  schauen. Der hat Glück, dass ich im Freizeit-Modus bin und folglich gut gelaunt. Als ich das Eis nicht ganz aufesse, kriege ich einen zweiten Anschiss, wieder unter Teilnahme der gesamten Herrschinger Dorf-High-Society nebst Touristen. Fängt ja gut an.

Da fällt uns wieder ein, dass wir ja ein Zimmer suchen wollten. Die Tourist Info ist miserabel beschildert, als wir sie endlich finden, buchen wir das letzte freie Zimmer der ganzen Region  am Wörthsee, 8 km weiter.  Die Frau im Büro erklärt uns ungefähr drei Mal, dass der Wörthsee sowieso der viel bessere Badesee ist und was wir da alles machen können. Die wunderschöne oberbayerische Seenplatte und die Alpen und München so nah usw. Unser Einwand, das sei uns eigentlich egal, wir wohnen in München-Ost und kennen die Gegend und außerdem wollen wir bloß zum Yoga Festival, interessiert sie nicht. Sie hat ihren Spruch gelernt und den will sie loswerden. Na gut. Einmal Touri im eigenen Land.

Beim  Auto fällt uns ein, dass wir ja in dem Gästehaus fragen wollten. Den Weg durch die halbe Stadt hätten wir uns sparen können. Wir bekommen das Zimmer mit Seeblick. So ein Glück.

Wir machen uns auf den Weg zum Festival.

Es beginnt mit einem Willkommenskonzert. Ein Instrument namens Kirtan gibt Melodien vor zu Sanskrit-Texten, die offenbar alle außer uns kennen. Langhaarige Menschen in fließenden Gewändern singen und umarmen sich, als wären sie Liebespaare, die sich jahrelang nicht gesehen haben.

Wir sitzen auf unseren Matten und lieben uns nicht ganz so heftig, auch unser  glückseliges Lächeln ist eher etwas gezwungen, damit wir nicht so auffallen. Die Yogis flippen total aus. Mittlerweile tobt der Saal. Die Leute hüpfen und tanzen. Hare Krishna, hare krishna. Der neueste Hit der Mantraszene.  Sri Krishna, sharana mama.

Menschen europäischen Aussehens, die sich benehmen, wie sie sich vorstellen, dass es in indischen Ashrams zugeht. Geschlossene Augen, sich wiegen im Takt, alle sehr glücklich und erleuchtet.

Mir ist langweilig. Hoffentlich wird das noch was. Im Augenblick hätte ich  lieber einen Gin Tonic oder vielleicht eher zwei. Gibt’s hier natürlich nicht. Bloß grüne Smoothies und Süsskartoffeln mit Kraut und irgendwelche Samen. Streng vegan natürlich. Wieso schauen die alle so heilig und glücklich? Wenn’s nicht mal was Gescheites zu essen gibt? Geschweige denn zu trinken? Ich glaub denen nicht. Vorhin haben wir zwei heftig streiten gesehen, er so: „Dann amüsier dich halt mit den anderen Typen hier! Geh halt!“ Sie heult, das Kind erdrosselt sich solange im Fussballtornetz, keiner merkt’s. Als sie schon völlig aufgelöst ist, hält er sie ganz, ganz lang und fest und jetzt singen sie wieder glücklich. Schau, Spatzl, auch wenn du eine Schlampe bist, ich bin der große Guru und rette dich und nehme dich dann in Gnaden wieder auf. Konfliktlösung durch Mantrasingen.  Bin noch nicht so richtig drin in der Stimmung hier.

Nach dem Konzert die Überraschung: Klangbad. Wir legen uns auf den Boden, schließen die Augen und zwei Leute spielen alle möglichen Varianten von Glocken und Gongs.

Der Hammer. Innerhalb von Minuten drifte ich komplett ab, schlafe aber nicht ganz, sondern höre am Rande des Bewusstseins die Gongs, tief und vibrierend, melodisch, intensiv. Eine Stunde vergeht wie fünf Minuten, wir gleiten in tiefe Trance und werden ganz langsam wieder mit hellen Glöckchen herausgeholt. Da brauchst keine Drogen. Das reine Glück.