Schweigen vs. Sangria

Tag 5

Nach der Morgenmeditation, immer noch schweigend, rief  der gegenüber liegende Berg. Der Aufstieg wurde belohnt mit einer grandiosen Aussicht über Lluc de Mar und Palma bis ans Meer. Keine Menschen weit und breit, Zeit für Stille und zum Nachdenken, es hat seine Vorteile, in der Vorsaison zu reisen. Allerdings glaube ich nicht, dass hier überhaupt irgendwann viele Leute unterwegs sind, zu unwegsam ist der Pfad.

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Von der Hochebene aus hat man einen wunderbaren Blick auf unsere Einsiedelei.

Die Gedanken kommen und gehen.  Gefühle sortieren sich weiter. Vieles ordnet sich neu und führt zu überraschenden Erkenntnissen. Auch manche Erlebnisse in Australien bekommen einen Sinn, stellen sich in einen Zusammenhang mit den Ereignissen im letzten Jahr. Mehr Klarheit.

Wir schweigen noch bis zum Mittagessen. Größere Schwierigkeiten damit hatte keine, einige sind froh, wieder reden zu dürfen, andere – so auch ich –  hätten gern noch ein, zwei Tage so verbracht. Alles in allem eine eindrückliche Erfahrung für alle.

Nach dem Essen versorgt uns ein Strandspaziergang  mit frischer Brise. Das Wasser ist eisig, die Luft kühl. Zum Laufen am Ufer ideal, allerdings hat keine das Gefühl, sich ausziehen zu wollen.

 

Ausgelüftet beschließen wir den Schweigetag mit einer Sangria in der Beach-Bar. Danach geht’s nochmal nach Palma zum Schuhgeschäft. Die Welt hat uns wieder.

 

Stille

Tag 4

„Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“. Reinhold Niebuhr, amerikanischer Theologe, Philosoph und Politikwissenschaftler

Wir beschäftigen uns weiter mit unseren Gefühlen, das Ziel ist, zu lernen, alle anzunehmen, auch die unerwünschten. Es hat keinen Sinn, Gefühle zu unterdrücken oder zu beurteilen und zu bewerten, da der Mensch keinen Einfluss auf seine Gefühle hat, die durch Verdrängung und Verleugnung ja nicht verschwinden, sondern im Unterbewusstsein weiter Schaden anrichten können. Die einzigen Elemente, die wir beeinflussen können, sind unser Denken und unsere Sichtweise, die sich dann auf unsere Gefühle auswirken.

Nach der Seminarstunde haben wir uns im großen Meditationsraum getroffen zu einer ausführlichen Body-Scan-Meditation. Dabei geht man die einzelnen Körperteile durch und konzentriert sich auf die Empfindungen, die man dort spürt (der Fuß liegt mit der Ferse auf dem Boden, die Wade ist platt…) und entspannt dann bewusst. Die meisten sind eingeschlafen oder jedenfalls fast und das ist ja ein gutes Zeichen dafür, dass die Entspannung funktioniert hat.

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Dies sollte der Vorbereitung auf die nächsten 24 Stunden dienen, für die wir uns zum Schweigen verpflichtet haben.

Seit dem Mittagessen schweigen wir. Das bedeutet: nicht sprechen, nicht lesen, nicht schreiben, nicht fernsehen, kein Handy, kein Computer, wir sind allein mit unseren Gedanken und beobachten, was kommt. Die Übung ist, Gefühle wahrzunehmen und sie zu benennen. Das dürfen wir dann auch aufschreiben, aber nur das. Zur Einleitung hat Olga noch eine geführte Meditation gegeben, dann waren wir uns selbst überlassen.

Ich bin noch eine halbe Stunde sitzengeblieben und habe für mich weiter meditiert vor der großartigen Aussicht aus dem Meditationsraum.

Dann war ich einige Stunden spazieren, bergauf zu dem Kloster Cura, von dort über kleine Pfade auf der anderen Seite des Berges hinunter. An einer Stelle mit wunderschöner Aussicht habe ich ein paar Fotos von Blumen und Insekten gemacht und, die Natur genießend, meine Gefühle beobachtet.

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Bisher nichts Dramatisches:  ich versuche, meine widersprüchlichen Gefühle zu sortieren, wie erwartet.  Wie innen, so außen? Außen – tiefer Friede in blühender Natur. Das Schweigen fällt mir leicht, ich genieße es, mich auf niemanden einstellen zu müssen und ganz bei mir sein zu können.

Alle waren abends in der Messe, die Hippolyt auf Mallorquin gelesen hat. Der Kontrast seiner sehr dunklen Haut zu seinem weißen Talar ist schon sehr dekorativ. Um die Messe für uns interessanter zum machen, hat er versucht, seine Predigt simultan vom Mallorquin ins Englische zu übersetzen, was geradezu rührend ist. Dass er die Messe auf Mallorquin hält, finde ich sensationell. Immerhin ist er erst ein Jahr hier.

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Die Tigerkatze hier hat sich in mich verliebt. Sie kommt sofort an, wenn ich auftauche und klettert auf mich rauf. Ich kann sie nicht auf dem Boden liegend fotografieren, weil sie gleich aufsteht und schmusen will. Sie lässt sich nicht abschütteln. Total süß.

Nach dem Essen hat Olga noch vorgelesen, wie jeden Abend kannte sie einige Gute-Nacht-Geschichten. Sie tut alles, damit wir uns wohlfühlen. Wir fühlen uns warm und geborgen.